Gewerkschaft II: 70 Jahre ÖGB – Teil 2: Grund zum Feiern?

Der zweite Teil von Josef Falkingers Artikel zum 70. Geburtstag des ÖGB. Teil 1 gibt es hier zum Nachlesen.

Zum Geburtstag ist die Stimmung an der ÖGB-Spitze aufgeräumt. Die Gewerkschaften stellen mit Gerald Klug, Sabine Oberhauser, Rudolf Hundstorfer und Alois Stöger vier von sechs SPÖ-MinisterInnen. AK-Direktor Werner Muhm gilt als engster wirtschaftlicher Berater von Werner Faymann. ÖGB-Präsident Erich Foglar jubelt, die größte Steuerreform der zweiten Republik auf den Weg gebracht zu haben. Ist Feierlaune wirklich angebracht?

Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf einer Rekordhöhe von 9,4% (nationale Quote). Ein Anstieg von 6,5% im Vergleich zum Vorjahr. Durch die Bankenrettungspakete erreichte der Schuldenberg der Republik ein nie da gewesenes Ausmaß. Die Vermögen der Superreichen steigen weiter. Dagegen sind bereits 27% der Ein-Eltern-Haushalte armutsgefährdet. Stress und Arbeitsbelastung steigen. Die realen Einkommen des einkommensschwächsten Viertels der unselbständig Erwerbstätigen sind zwischen 1998 und 2012 um 18 Prozentpunkte gesunken. Die realen Haushaltseinkommen sind 2013 um 2,2% gesunken. Die gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen werden immer weiter gelockert. Trotz steigender Altersarbeitslosigkeit arbeiten die SozialpartnerInnen an der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters.

Und die Erfolge?

Die Steuerreform gleicht höchstens die kalte Progression der letzten Jahrzehnte aus und muss voraussichtlich durch empfindliche Sparpakete gegenfinanziert werden. Die KurzarbeiterInnenregelung hat die Krise lediglich sozial abgefedert und empfindliche Lohneinbußen gebracht. Die Mindestsicherung ist nur ein kleiner Beitrag im Kampf gegen eine insgesamt steigende Armutsbedrohung. In zahlreichen Bundesländern wird sie nur ausgezahlt, wenn Betroffene zuvor ihre Eltern auf Unterhalt klagen – also kaum. In der ÖIAG wurde die Selbsterneuerung des Aufsichtsrates auch auf Druck des ÖGBs gestoppt, aber die Telekom gehört jetzt dem mexikanischen Multimilliardär Carlos Slim.

Sprich: Ohne ÖGB würde vieles schlechter laufen, aber der ÖGB kann den negativen Trend der gesellschaftspolitischen Entwicklung nicht aufhalten.

Fortwursteln ist keine Lösung

Das Kräfteverhältnis zwischen der Masse der Lohnabhängigen und einer kleinen Schicht von KapitalbesitzerInnen hat sich nicht zum Positiven verändert. Im Gegenteil. Es deutet viel darauf hin, dass das großkoalitionäre Fortwursteln, das vom ÖGB mitgetragen wird, in einer weiteren Wahlniederlage der SPÖ enden wird. Ansätze für eine kämpferische Politik in der Verteilungsfrage sind durch den Kompromiss in der Steuerreform zunichte gemacht worden. Die Glaubwürdigkeit ist weiter gesunken.

Verglichen mit vielen anderen europäischen Ländern geht es Österreich noch verhältnismäßig gut. Eine neue Krise an den Finanzmärkten kann diese Situation aber schnell ändern. Die Pleite der Hypo Alpe Adria und die Krise anderer großer österreichischer Kreditinstitute zeigt uns, wie schnell. Zum 70. Geburtstag des ÖGB sind auch wir gut beraten, über neue Strategien und Konzepte im Kampf gegen den Neoliberalismus nachzudenken.

Ohne Kampf kein Fortschritt

Alle österreichischen Teilgewerkschaften haben Probleme, junge Menschen für gewerkschaftliche Arbeit zu begeistern. Bei den JungwählerInnen ist die SPÖ zu einer Kleinpartei geworden. Die Ursache ist einfach: Eine Politik des kleineren Übels entspricht möglicherweise dem Lebensgefühl der Generation 50+, der es finanziell noch relativ gut geht. Eine Politik des kleineren Übels kann aber keine Begeisterung erwecken. Junge Menschen brauchen Ideale und Visionen, um sich zu engagieren. Fehlt hier ein Angebot, ist die Reaktion politischer Zynismus und Rückzug ins Private.

Die Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen bemüht gerne den Slogan „Ohne Kampf kein Fortschritt!“. Junge Menschen sind nicht bereit zu kämpfen, wenn Fortschritt eine Mindestsicherung bedeutet, für die man zuvor seine Eltern verklagen muss. Für sie bedeutet Fortschritt nicht weniger als eine echte gesellschaftspolitische Wende.

Josef Falkinger ist Ökonom und Stellvertretender Vorsitzender der FSG (Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen) Statistik Austria.

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