Der 4. Februar 2025 ist der 25. Jahrestag der Angelobung der ersten schwarz-blauen Bundesregierung. Und damit auch jener der Geburtsstunde der Donnerstagsdemos. Kurto Wendt war dabei, damals und heute, und erinnert sich für mosaik an ein Vierteljahrhundert der Proteste.
Am 4. Februar 2000 wurde das Kabinett Schüssel 1 angelobt. Legendär ist die versteinerte Miene von Bundespräsident Klestil. Legendär auch, dass es die erste Angelobung war, bei der die Regierung unterirdisch unter dem Ballhausplatz vom Regierungsgebäude in die Hofburg gehen musste, weil eine wütende Menge tausender Menschen, „bewaffnet“ mit Eiern und Hausmüll, eine Gefahr und vor allem schlechte Bilder für den Tabubruch bedeutet hätten. Der Tabubruch, erstmals in Europa eine Regierung unter Beteiligung der extremen Rechten, wurde von der EU sogar mit Sanktionen bedacht. Das weckte auch den Widerstandsgeist in Österreich.
Die sozialdemokratischen Milieus, die auch ein wenig Trauerarbeit wegen Machtverlust leisten mussten. Die radikale Linke – zu der ich mich auch zähle – die vorerst wartete, weil ja unter den Sozis alles schon sehr schlimm war. Ein halbes Jahr davor war Markus Omofuma bei einem Abschiebeflug nach Bulgarien erstickt. Polizisten hatten ihm den Mund mit Klebebändern verklebt. Am 27. Mai 1999 wurde von SPÖ-Ministern mit der „Operation Spring“ der bislang ärgste rassistische Polizei- und Justizskandal der zweiten Republik gestartet.

Widerstand in vielen Formen
Die Besetzung der ÖVP-Zentrale am 31. Jänner. Am 4. Februar wilde Demos inklusive Kurzbesetzung des Sozialministeriums, bei dem Akten aus dem Fenster geworfen wurden. Bis 19. Februar tägliche Demonstrationen. Am 19. Februar 200.000 am Heldenplatz und ab 24. Februar Donnerstagsdemos, die bis Anfang 2002 wöchentlich das Stadtbild Wiens prägten. Wien hatte 2000 nicht nur die erste Regierung unter Beteiligung der extremen Rechten, sondern auch eine Protestkultur entwickelt, die ein wenig an ein Nachholen von ’68 erinnerte.
Eine Wohngemeinschaft organisierte etwa in Eigenregie die Website gegenschwarzblau.at, die binnen 3 Tage mehr Zugriffe hatte als Standard und Falter zusammen. Johanna Kandl entwickelte den Button Gegenschwarzblau, der ikonisch war und durch seine 10.000-Fache Verbreitung auch ein öffentlicher Marker war. Er gab Menschen Sicherheit. Kaum ein U-Bahn Wagon, in dem nicht sich 2 Menschen begegneten, die einen trugen und wussten, an wen sie sich wenden können, wenn es Schwierigkeiten gegeben hätte. Eine öffentlich sichtbare kritische Masse. Gegenteilig war es auch 2000 schon im Niederösterreich. Wer gezwungen war, zu pendeln, erlebte in der Schnellbahn, dass dort die rechten, rassistischen und sexistischen Aussagen mehr und lauter wurden.

Interessant war auch die „Soundpolitisierung“. Eine Initiative, die die bis dahin unpolitische Clubszene organisierte. Jeder Club war quasi gezwungen zu entscheiden, wie sie zu Schwarzblau stehen. Im Flex hatte mensch beispielsweise freien Eintritt, wenn mensch mit einem Transparent von der Donnerstagsdemo ankam. Schüssel nannte uns die SMS-Generation, weil über SMS-Ketten mobilisiert wurde. Die Demos waren nicht angemeldet, mäanderten durch alle Bezirke, trennten sich manchmal spontan in der Hälfte. Anfang 2002 kollabierten sie, weil manche Gruppen versuchten, sie zu Antigolfkriegsdemos zu verwandeln.
Eine breite Aufmerksamkeit
Was bringen Demos, was bringt Protest? Das ist eine in der Linken etwa alle 7 Jahre aufkommenden Debatte. 2000 zeigte sich auf den Demos eine gesellschaftliche Breite von radikaler Linken bis Liberalen, die EU-Flaggen schwenkten, und entsetzten Konservativen. Ikonisch war die Aussage einer Demonstrantin auf einer Pressekonferenz am Ballhausplatz. Sie meinte, sie ginge jeden Donnerstag außer am Gründonnerstag, der für sie als Katholikin ein hoher Feiertag sei. Im Herbst 2000 machte sich die Stimmung breit, mensch wäre nur mehr Statist*in im Theaterspiel der rechten Regierung. Protest müsse auch wirtschaftlichen Schaden anrichten. So wurde „checkpointaustria“ geplant. Am Tag der Parlamentsdebatte, am 6. Dezember, hieß es „Zu Krampus steht Österreich am morgen still – gegen das Budget der sozialen Grausamkeit“. 37 angemeldete Straßensperren in ganz Österreich. Unter anderem die erste Demo der 2. Republik in Grünau im Almtal an der Panoramastraße.

Der über sechs Wochen geschickt aufgeschaukelte Diskurs führte dazu, dass sich auch der ÖGB indirekt anschloss und eine Menschenkette um das Parlament organisierte und die Pflichtschullehrer*innen am Vormittag streikten. Politik wirkt, wenn sie auch in überraschenden Kontexten vordringt. Der Ö3 Verkehrsfunk – zwei an sich unnötige Minuten für Autofahrende zu Stoßzeiten motorisierten Individualverkehrs – brachte am 6. Dezember um 6 Uhr 30 in etwa folgenden Dialog: Moderator: „heute fahren sie am besten nicht am Morgen mit dem Auto rein nach Wien, alles ist blockiert“. Moderatorin lacht und antwortet: „mein Vorschlag: da auch die Pflichtschullehrenden streiken, bleiben sie am besten ganz zu Hause und verbringen einen netten Tag mit der Familie“. Zwei Minuten im meistgehörten Radiosender Österreichs, die ansonsten absolut unpolitisch sind erscheinen plötzlich wie eine Ansage von Radio Alice, dem subversiven Radio der autonomen Bewegung in Bologna in den 70er-Jahren.
Bei Schwarzblau 2 (Kurz-Strache) dauerte es zehn Monate bis sich relevanter Protest formierte. Die 60-Stunden-Woche und der 12-Stunden-Tag mobilisierte. Der ÖGB legte eine riesige Demo hin, am 30. Juni 2018. Just an dem Tag bevor Österreich den EU-Vorsitz übernahm. Klug gewählt, wie es schien. Aber Sebastian Kurz verlegte das Staatschef*innen-Treffen auf die Alm bei Schladming. 100.000 kamen zur ÖGB-Demo. Ziemlich kraftvoll der Auftritt der Menschen. Während der Reden der Teilgewerkschaftspräsidenten zogen sie aber bereits scharenweise ab. Es war überraschend, dass diese Demo letztlich nur Folklore war, keine Streikpläne in den Schubläden, keine Nadelstiche gegen die Regierung des Kapitals, sondern Sommerpause. Dabei ist letztlich auch gegen Folklore nichts einzuwenden, wenn sie zumindest als solche erkannt und geschätzt wird.
Gestern, heute und morgen
Irgendwann im August sagte einer zu einer: „Ich halt das nicht mehr aus, wir müssen was tun. Egal ob was Großes oder was Kleines. Hauptsache was tun“. Und sie so: „lieber was Großes“. Aus diesem Minimaldialog entstand eine Gruppe von 19 Menschen, die im August 2018 planten am 4. Oktober eine Donnerstagsdemo zu machen. Mit der Option auf weitere. Der Unterschied zu 2000 war, dass sie politisch kuratiert waren. Die Redner*innen waren keine Politiker*innen sondern Menschen, die sonst nie Bühnen bekamen. Armutsbetroffene, Rassismusbetroffene, Transgender Sexarbeiter*innen, Demenzkranke Ärzt*innen. All das, was sonst als „Randgruppe“ bezeichnet wurde, gestalte bei den Demos eine gemeinsame Mehrheit.
Es waren immer mehrere Hunderte, meistens Tausende, die sich bewegten, tanzten und protestierten. Musik spielte eine sehr wichtige Rolle. Auch dafür, dass die meisten Menschen sich nach den Demos besser fühlten als vorher. Haben die Demos Kurz und Strache zu Fall gebracht? Ist nicht so einfach mit nein zu beantworten, aber schon eher das Ibiza-Video. Demos sind aber auch immer Abstimmungen mit den Füßen. Als die FPÖ aus der Regierung flog, Kickl auf Wunsch von Sebastian Kurz von van der Bellen entlassen wurde, diskutierten wir, ob wir weitermachen sollten, weil der Konsens „keine Regierung mit der extremen Rechten“ eigentlich erledigt war. Die Entscheidung war, eine Demo mit #kurzmussweg zu organisieren. Es kamen 4.000, die Entscheidung war richtig.

Heute stehen wir fassungslos einer Situation gegenüber, dass zum 25 jährigen „Jubiläum“ von Schwarz-Blau Blau-Schwarz angelobt werden könnte. Und dass Österreich einen Bundeskanzler bekommt, der die Identitären als NGO von rechts bezeichnet. Die Donnerstagsdemo am 3. Oktober unmittelbar nach der Wahl brachte 25.000 auf die Straße. Eine von Volkshilfe, SOS Mitmensch und Greenpeace organisierte noch mehr. Für die alte do!-Crew ist am 4. Februar noch ein letztes Mal am Dienstag Donnerstag. Eine neue Gruppe, do.3, versucht sich in halbwegs regelmäßigen Standkundgebungen am Ballhausplatz. Die Offensive gegen Rechts hat den Angelobungstag zum Tag X ausgerufen.
Wenn die Fassungslosigkeit der Wut weichen wird und der Wunsch für ein gutes Leben für Alle stärker ist als die Angst, werden sich Widerstandsformen entwickeln, die wir jetzt noch nicht sehen können. Neugierig bleiben, sich Zeit zum Beobachten nehmen, das Momentum erkennen halte ich für mitunter die wichtigsten Eigenschaften für erfolgreichen Protest. Der Papst hat wie schon 2000 auch 2025 zum heiligen Jahr ausgerufen. Meine Einschätzung dazu: hilft’s ned, schad’s ned.
Die Demo zu 25 Jahre Widerstand gegen blau-schwarz findet heute, am 4. Februar 2025, ab 18:00 am Wiener Ballhausplatz statt.
Fotos: Foto GLF/InternationalPress