Viele Strache-Fans sind empört über den geplanten 12-Stunden-Tag. Die Argumente, mit denen der Vizekanzler sie zu überzeugen versucht, halten einem Faktencheck nicht stand. Valentin Schwarz wirft einen Blick auf vier zentrale Argumente von Strache.
Seit ÖVP und FPÖ den Antrag zum 12-Stunden-Tag eingebracht haben, geht es in der Politik rund. Ganz besonders gilt das für die Facebook-Seite von Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Mit ausführlichen Postings versucht er, seinen Fans das neue Gesetz schmackhaft zu machen. Die folgen ihm dabei nur selten, wie ein Blick auf die Facebook-Seite zeigt – auch wenn Strache viele kritische Kommentare rasch löschen lässt.
1. Nein, von „freiwillig“ kann keine Rede sein
Laut Strache schafft das geplante Gesetz ein Arbeitszeitmodell, „das von Arbeitnehmern freiwillig in Anspruch genommen werden kann, vom Dienstgeber jedoch nicht vorgeschrieben werden darf.“ Ein Faktencheck zeigt: Das Gegenteil ist der Fall.
In den allermeisten Arbeitsverträgen steht, dass Vorgesetzte bei Bedarf Überstunden anordnen können, und zwar innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Diesen will Schwarz-Blau nun von zehn auf zwölf Stunden pro Tag und von fünfzig auf sechzig Stunden pro Woche ausdehnen. Die Arbeitenden dürfen die Stunden elf und zwölf nur ablehnen, wenn sie beweisen, dass ihre Gründe dafür wichtiger sind als die Interessen des Betriebs. Wenn Chef oder Chefin das anders sehen, können sie das als Arbeitsverweigerung einstufen. Dann könnten sie sogar die fristlose Entlassung aussprechen, wie Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein unterstreicht. Ob die rechtens war, wird erst Monate später vor Gericht geklärt. Der Job ist dann längst weg.
In der Praxis bedeutet das: Wenn du in der Früh in die Arbeit kommst, kann es ab sofort heißen: „Wir brauchen dich heute zwölf Stunden“. Das können deine Vorgesetzten dir jeden Tag sagen, auch fünfmal die Woche. Hast du etwas Wichtigeres oder Besseres vor, musst du darauf hoffen, dass sie das akzeptieren.
Auch Sozialministerin Beate Hartinger-Klein musste eingestehen: Ein „Ich will nicht“ reicht nicht. Der einzige reale Schutz vor dauerhaften 60-Stunden-Wochen ist eine EU-Richtlinie, die vorschreibt, dass die durchschnittliche Wochen-Arbeitszeit über vier Monate hinweg maximal 48 Stunden betragen darf. Trotzdem beharrt Strache in Diskussionen mit seinen Fans weiter darauf, dass „jeder Grund vom Arbeitgeber akzeptiert werden muss“.
2. Doch, die Arbeitenden werden viel Geld verlieren
„Die Zuschläge bleiben und sind in Zukunft natürlich gesichert. Alles andere sind Fake-News“, schreibt Strache in einem Facebook-Kommentar. Worum geht es?
Überstunden werden prinzipiell mit Zuschlägen abgegolten, also mit höherer Bezahlung oder mehr Zeitausgleich. In der Praxis ist das aber oft nicht der Fall. Rund eine Million Menschen in Österreich arbeiten Gleitzeit. Das bedeutet: Sie haben keine fix vorgeschriebenen Arbeitszeiten wie 9 bis 17 Uhr. Stattdessen gibt es eine Kernarbeitszeit von einigen Stunden, in der sie anwesend sein müssen. Ihre restliche Arbeitszeit können sie „gleiten“, also davor und danach anhängen.
Was nach Selbstbestimmtheit klingt, führt oft dazu, dass diese Menschen schon jetzt um ihre Überstunden-Zuschläge umfallen. Arbeiten sie zehn statt acht Stunden, machen sie keine Überstunden, sondern bauen ein Polster auf, das sie später – eben per Gleitzeit – wieder abbauen.
Anders ist es, wenn jemand elf oder zwölf Stunden arbeitet, wie das in Ausnahmefällen bereits möglich ist. Diese Stunden müssen laut Gesetz mit 50 Prozent Zuschlag abgegolten werden. In der Praxis ist der Zuschlag oft sogar noch höher. Denn 12-Stunden-Tage sind nur mit Zustimmung der BetriebsrätInnen erlaubt. Die verlangen oft eine höhere Gegenleistung für die Beschäftigten.
Mit dem neuen Gesetz würde dieser Bonus für die Stunden elf und zwölf wegfallen. Es kippt den Zuschlag von 50 Prozent. Auch die Zustimmung der BetriebsrätInnen ist nicht mehr nötig, also können sie auch keine Extras ausverhandeln. „Dadurch verschiebt sich das Machtgleichgewicht weg von den Arbeitnehmern“, sagt Arbeitsrechts-Professor Martin Risak.
Kurzum: Wenn du in Zukunft 12 Stunden arbeitest, bekommst du nichts dafür, außer dass du die Extrastunden an einem anderen Tag eins-zu-eins abbauen darfst.
Den Verlust der Zuschläge bei Gleitzeit haben am Sonntag bei „Im Zentrum“ auch Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung (IV), und Karl-Heinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer, bestätigt. Kapsch kündigte anschließend an, darüber mit der Regierung sprechen zu wollen. Strache blieb davon unbeirrt. Der IV-Präsident habe „offenbar das Gesetz noch nicht richtig gelesen und eine völlige Fehlinterpretation der Gewerkschaft übernommen“, sagte er in der ZIB 2 vom 20. Juni. Unterdessen bestätigen alle ExpertInnen, sogar jene des UnternehmerInnen-Magazins Trend, den großen Verlust für die Arbeitenden.
3. Die Vier-Tage-Woche ist längst möglich
Längere Arbeitstage, aber dafür eine kürzere Woche? „Erstmals wird eine 4 Tage Arbeitswoche gesetzlich möglich“, schreibt Strache. Tatsache ist, dass diese Möglichkeit bereits seit langem existiert. Auch 12-Stunden-Tage sind bei diesem Modell unter bestimmten Voraussetzungen bereits erlaubt. Die Wirtschaftskammer erklärt das ausführlich auf ihrer Website.
Warum gibt es die Vier-Tage-Woche dann in der Praxis kaum? Weil die Unternehmen sie nicht wollen. Ihnen ist es lieber, von Montag bis Freitag auf ihre MitarbeiterInnen zugreifen zu können. Daran ändert auch das neue Gesetz nichts.
Es sieht keinen Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche vor, wenn man 12-Stunden-Arbeitstage macht. Auch wenn Strache ein „harmonisches Verhältnis zwischen Arbeits- und Freizeit für jeden Arbeitnehmer“ ankündigt, wird dieses weiterhin vom guten Willen der Vorgesetzten abhängig sein.
4. Nein, es gibt künftig nicht mehr Freizeit am Stück
Die Familien sind Heinz-Christian Strache wichtig. Der 12-Stunden-Tag, verspricht er ihnen, macht „ihre Wertigkeit in der Gesellschaft deutlich sichtbarer“. Denn berufstätige Eltern, „die ihre Kinder oftmals nur zum Gute-Nacht-Kuss noch sehen“, hätten künftig mehr Freizeit am Stück mit ihrem Nachwuchs.
Nur: Auch davon steht im neuen Gesetz nichts. Es schafft kein Recht für die Beschäftigten, selbst zu bestimmen, wann sie das Zeitguthaben abbauen, das sie durch 12-Stunden-Tage angehäuft haben. Sie sind dafür weiterhin von der Zustimmung ihrer Vorgesetzten abhängig.
Tatsächlich könnte sich ihre Lage sogar verschlechtern. Bisher gilt: Damit Arbeitende nicht riesige Mengen an Überstunden anhäufen, müssen sie diese regelmäßig – zum Beispiel alle drei Monate – auf ein bestimmtes Maß abbauen. Die Regierung will nun, in Straches Worten, die „mehrmalige Übertragungsmöglichkeit von Zeitguthaben und Zeitschulden in den jeweils nächsten Durchrechungszeitraum“ ermöglichen.
Hinter diesem sperrigen Satz verbirgt sich eine simple Änderung: Künftig kannst du Zeitguthaben ewig mitschleppen. „Bei notorisch unterbesetzten Stellen verschiebt sich die Erholung damit auf den St. Nimmerleinstag“, schreibt die Arbeiterkammer.
Die von Strache angesprochenen Eltern werden also nur dann mehr Zeit am Stück für ihre Kinder haben, wenn ihre Vorgesetzten dem zustimmen. Zu befürchten ist, dass sich oft nicht einmal der Gute-Nacht-Kuss ausgehen wird – weil die Vorgesetzten ja einfacher 12-Stunden-Tage verlangen können.
Glaubt Strache, was er schreibt?
Zusammengefasst sind zwei Dinge unklar: Ob Strache selber glaubt, was er schreibt. Und ob seine FPÖ sich von ÖVP und Industriellenvereinigung über den Tisch ziehen lassen hat, oder tatsächlich hinter dem Gesetz mit all seinen Folgen steht.
Fest steht, dass Strache gewaltig unter Druck gekommen ist. In der ZIB 2 vom 20. Juni räumte er ein, dass der Begriff „freiwillig“ noch ergänzt werden soll. Ob das in der Praxis viel daran ändert, dass Beschäftigte ihren Vorgesetzten kaum folgenlos „Nein“ sagen können, darf bezweifelt werden. Jede andere Änderung schließen ÖVP und FPÖ aus.
Der 12-Stunden-Tag hat die sorgenfreie Zeit von Schwarz-Blau definitiv beendet. Keine Maßnahme hat bisher so vielen Menschen klar gemacht, dass die Regierung auf Seiten der Bosse steht.