1. Mai: Auf dem Fahrrad gegen die „Neue Normalität“

Der 1. Mai wird dieses Jahr nicht wie alle Jahre. Die SPÖ hat den traditionellen Demonstrationszug schon vor wenigen Wochen abgesagt. Das große Spektakel am Rathaus bleibt dieses Jahr aus. Doch auf der Plattform „mayday“ finden sich eine ganze Reihe Aufrufe zu Aktionen und Demonstrationen, die es trotz alledem geben soll. Das neu gegründete Bündnis „Solidarität für Alle“ ruft zum gemeinsamen Radfahren auf. Im Interview spricht Lena Strobl vom Bündnis über die verhängnisvolle neue Normalität, die Besonderheit des 1. Mai und wie man am besten den Sicherheitsabstand einhält.

Mosaik-Blog: Am 1. Mai ruft ihr zum gemeinsamen Fahrradfahren mit dem Slogan „Solidarität statt Neue Normalität“. Warum dieser Slogan?

Lena Strobl: Wir protestieren gegen eine vermeintliche „Neue Normalität“, wie sie Kurz genannt hat. Die Situation ist für viele gerade noch beschissener als unter der üblichen, ausbeuterischen kapitalistischen Normalität. Unser Protest richtet sich sowohl gegen die aktuelle Politik der Regierung als auch gegen diese Normalität selbst.

Die alte Normalität bedeutet einen untragbaren Umgang mit Geflüchteten an den Grenzen und in den Lagern in Griechenland. Jetzt ist die Situation noch zugespitzter; wenn das Virus ausbricht, sind die Menschen diesem völlig schutzlos ausgeliefert.

Wichtige Infrastruktur-Berufe, wie die Pflege, werden auch sonst hauptsächlich von Frauen* geleistet, die zugleich unbezahlte Sorgearbeit in ihren Familien leisten. Es werden keine Antworten gegeben für all diese Frauen*, die jetzt dreifach belastet sind, weil Kinder zu Hause versorgt werden müssen.

Wie genau findet eure Rad-Aktion statt? Und warum meldet ihr nicht einfach eine Demonstration an? Nach aktuellem Stand werden die Maßnahmen wohl bis zum 1. Mai gelockert. Habt ihr Sicherheitsbedenken?

In den letzten Wochen wurde das Recht auf politische Meinungsäußerung beschnitten und auch hier wird wieder mit „neuer Normalität“ argumentiert. Wir nehmen die Sicherheitsvorkehrungen sehr ernst, aber selbst in die Hand. Auf dem Fahrrad ist es leicht, den Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern einzuhalten und wir tragen Mundschutz.

Am Freitag gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten mitzumachen, selbst für diejenigen, die zu Hause bleiben wollen oder müssen; zum Beispiel mit der Radiodemonstration um 16.00 Uhr. Um 12.00 Uhr ruft mayday zu einer angemeldeten Demonstration am Praterstern auf, um 15.00 Uhr werden überall am Ring Menschen mit ihren Fahrrädern und zu Fuß unterwegs sein. Wir rufen auf, Schilder zu basteln und auf dem Rücken zu tragen, oder Musikboxen für eingespielte Redebeiträge und Musik am Fahrrad zu befestigen.

Man könnte ja jeden Tag eine solche Aktion machen. Warum darf der 1. Mai in Wien nicht ausfallen?

Der 1. Mai ist der Tag, an dem wir jedes Jahr alle zusammenkommen, um für ein Leben frei von Zwang und ohne Profitmacherei zu demonstrieren. Am Freitag zeigen weltweit Menschen, dass es nicht um Grenzen zwischen Nationen geht, sondern wir miteinander solidarisch und verknüpft sind. Die Corona-Krise macht einmal mehr sichtbar, dass Arbeit, die wir als Gesellschaft brauchen, total unterbezahlt und entrechtet ist, obwohl wir auf diese Arbeit angewiesen sind.

Im Aufruf heißt es: „Während Kulturarbeiter*innen, Künstler*innen und viel andere um ihre Existenz kämpfen, werden die Rettungspakete für die oberen Klassen schon geschnürt und Verluste vergemeinschaftet.“ Woran macht ihr das fest?

Zum Beispiel am Familienhärtefonds, der insgesamt 30 Millionen Euro umfasst. Auf diesen können Eltern zurückgreifen, wenn ein Elternteil jetzt die Arbeit verliert. Aber wer vorher schon Mindestsicherung bezogen hat und vorher schon prekär war, geht leer aus. 80.000 Kinder haben kein zusätzliches Geld in dieser Krise, obwohl auch sie sich auf eine völlig neue Situation, zum Beispiel home schooling, einstellen müssen.

Wieder einmal werden die AUA (Austrian Airlines) und die Autozulieferindustrie gerettet und damit Arbeitsplätze, die langfristig aufgrund der Klimakrise sowieso verloren gehen werden. Wirklich gerecht wäre es, sowohl für Arbeiter*innen als auch für alle, sichere und gute Arbeitsplätze und Umschulungen zu finanzieren. Zum Beispiel im Bildungs- und Gesundheitsbereich oder beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Man könnte Energiegenossenschaften gründen, die auf Stadt und Gemeindeebene wirken, statt die Monopolstellung von Großkonzernen aufrechtzuerhalten. Aber damit lässt sich eben kein Profit erwirtschaften.

Die Kritik an der Öffnung von Geschäften ist aus einer konsumkritischen oder antikapitalistischen Perspektive berechtigt. Aber ist es nicht zynisch, sie im gleichen Atemzug mit Existenzängsten zu nennen? Es sind doch die Angestellten im Einzelhandel oder Arbeiter*innen in den Restaurantküchen, die ohne ihre Lohnarbeit aufgeschmissen sind.

Deshalb ist die systemische Kritik so wichtig; die Kritik, dass alles dem Zwang zum Profit unterworfen ist. Es ist immer ein Problem für uns als Angestellte, wenn die Wirtschaft krachen geht, wenn wir unsere Jobs verlieren. Ein Alternative wäre ein System, in dem unsere Tätigkeit nicht dem Markt unterworfen ist, in dem wir gemeinsam entscheiden, welche Bereiche, zum Beispiel Schulen und Kindergärten, uns wichtig sind. Dazu müssen uns aber auch die Mittel gehören und gemeinsam von uns verwaltet werden.

Du arbeitest normalerweise zu Klimagerechtigkeit. Wie passt das mit der Aktion zusammen?

Es geht auch um Protest gegen Klimakiller-Industrien, die unsere Zukunft und die Gegenwart mithilfe staatlicher Corona-Gelder weiter zerstören. Dieses Wirtschaften und diese Industrien sind Teil einer imperialen Lebensweise. Wir alle leben auf Kosten des globalen Südens. Menschen verlieren dort schon lange ihre Lebensgrundlagen, u.a. aufgrund von Klimakatastrophen. Sie werden zur Flucht gezwungen, sitzen dann unter unmenschlichen Lebensbedingungen in den Lagern der EU-Ausgrenzen fest. Solidarität heißt, diese Stimmen, die nicht mit uns auf der Straße sind, hörbar zu machen.

Veranstaltungshinweis: Das Bündnis „Solidarität für Alle“ besteht aus verschieden bewegungspolitischen, linksradikalen, antifaschistischen und feministischen Gruppen und ruft dazu auf, am 1. Mai ab 15.00 Uhr mit Schildern und Musik den Ring mit dem Fahrrad zu befahren und zu begehen.

Interview: Hannah Eberle

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