Wien-Wahl I: Warum wir keine Korken knallen lassen

Die Wien-Wahl ist geschlagen, und angeblich ist alles halb so schlimm. Die FPÖ hat „nur“ 30 Prozent errungen, die SPÖ „bloß“ fünf verloren und die Rot-Grüne Stadtregierung wird wohl fortgesetzt. „Haltung zahlt sich aus“, jubeln jetzt viele. Vor dem Hintergrund des inszenierten „Duells um Wien“ vielleicht nachvollziehbar. Aber die Reaktion zeigt vor allem, wie niedrig die Maßstäbe sind, die an österreichische Politik mittlerweile angelegt werden. Ein Diskussionsbeitrag von Martin Konecny, Hanna Lichtenberger, Benjamin Opratko und Valentin Schwarz.

Denn tatsächlich hat die FPÖ über 20.000 Stimmen dazu gewonnen. Der Aufstieg einer rechtsextremen Partei wurde nicht gestoppt, sondern fortgesetzt. Als „nicht so schlimm“ kann das Ergebnis nur bewerten, wer das Gerede von einem „Duell um Wien“ zwischen SPÖ und FPÖ tatsächlich glaubte. Wie der Abstand von über sieben Prozentpunkten zeigt, war dieses Duell nur herbei geschrieben. Die Inszenierung diente der Mobilisierung beider Parteien, den Medien, die eine spannendere Geschichte zu erzählen hatten, und auch der Wahlbeteiligung, die entgegen dem allgemeinen Trend stieg.

Stimmen gegen Strache

In dieser inszenierten Zuspitzung haben viele WienerInnen nicht für die SPÖ, sondern gegen Strache gestimmt. Das ist zunächst mal erfreulich, denn das Wahlergebnis zeigt, dass es keine Mehrheit für rassistische Hetze gibt. Und immerhin: Der Wiener Bürgermeister hat im Vorfeld der Wahlen mehr Haltung bewiesen als etwa sein oberösterreichischer Kollege Pühringer und viele BundespolitikerInnen. Bewusst ohne großes Aufsehen hat Wien administrative Lösungen gefunden, um ankommende Schutzsuchende zu versorgen. Dies hat sie nicht als Teil der Solidaritätswelle getan, sondern weil es in der Stadt eine funktionierende Verwaltung gibt, die sich bemüht, die Situation zu beruhigen. Das werden viele WienerInnen nun fünf weitere Jahre bekommen: Die passable Verwaltung einer ganz gut funktionierenden Stadt.

Doch wenn wir genauer hinschauen, sehen wir dass die Sache nicht so einfach ist. Es waren vor allem bildungsbürgerliche und besser gestellte WählerInnen, die dem SPÖ-Aufruf „Strache verhindern!“ folgten: Die SPÖ gewinnt besonders in einkommensstarken Bezirken wie auf der Wieden, in der Josefstadt oder im 1. Bezirk. In ArbeiterInnenbezirken wie Favoriten oder der Donaustadt verliert sie dagegen massiv. In Simmering und Floridsdorf landet sie gar hinter der FPÖ. Dort wohnen viele Menschen, die unzufrieden sind, in Armut und prekären Verhältnissen leben, von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg bedroht sind – oder schlicht von einer politischen Elite die Nase voll haben, die von ihren Lebensrealitäten so weit entfernt sind wie Manfred Juraczka von der absoluten Mehrheit.

Und das spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Das Meinungsforschungsinstitut SORA (das wie alle anderen wichtigen Institute dieser Art an der „Duellisierung des Wahlkampfes“ mitgewirkt hatte) zeigt: 81 Prozent der NEOS-WählerInnen, 89 Prozent der SPÖ-WählerInnnen und sogar 94 Prozent der Grün-WählerInnen empfinden Wien als sehr lebenswert. Unter FPÖ-WählerInnen stimmen dem weniger als ein Drittel zu. Das ist nicht bloß Raunzerei, sondern Lebensrealität: Wer ökonomisch abgesichert ist, empfindet Wien als lebenswerte Stadt. Wer mit Sorge in die Zukunft blickt, wählt mit hoher Wahrscheinlichkeit FPÖ. Und diese Sorgen haben angesichts von Rekordarbeitslosigkeit, steigenden Mieten  und sinkenden Löhnen eine reale Grundlage. Hier liegen die tieferen Gründe für den Aufstieg der FPÖ, der ja schon seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 anhält.

Nein, das ist keine Gegenstrategie

Der Trend bleibt also aufrecht: Die Sozialdemokratie schafft es nicht mehr, enttäuschte Arbeiter_innen (zurück) zu gewinnen. Sie symbolisiert nicht, dass es besser werden könnte – sie verhindert bloß im besten Fall, dass es nicht noch schlimmer wird. Für viele SPÖ-FunktionärInnen zählt das nicht. Der frenetische Jubel im SPÖ-Wahlzelt bei den ersten Hochrechnungen, zeigt wie weit sich diese Partei von ihrer ehemaligen Basis entfernt hat. Man feiert, dass man weniger verloren hat als die Anderen und ignoriert, dass die ArbeiterInnenhochburgen von den rechten Hetzern eingenommen wurden.

Auch braucht niemand zu glauben, dass die SPÖ nun endlich ein „Gegenrezept“ zu Straches Aufstieg gefunden hätte. Auf der Ebene der Nationalratswahl wird eine Duell-Strategie wie in Wien für die SPÖ nicht aufgehen. Die Zuspitzung auf die Spitzenkandidaten von SPÖ und FPÖ wird hier nicht gelingen, schon weil eine charismatische Führungspersönlichkeit an der Spitze der Bundes-SP, die ihre Integrität gegen Strache in die Waagschale werfen könnte, eher nicht in Sicht ist. Hinzu kommt die ÖVP, die nur in der Hauptstadt derart bedeutungslos ist. Dort dafür umso mehr – das einstellige Ergebnis ist vernichtend. Verantwortlich dafür ist einerseits die beschriebene Verengung des Wahlkampfs, andererseits das Antreten der NEOS. Doch auch an die FPÖ verlor die Volkspartei stark, vor allem dank des Wechsels von Ursula Stenzel. Teile des konservativen Bürgertums verlieren offenbar immer weniger ihre Hemmungen, mit Strache einen Politiker zu wählen, über den sie bisher die Nase rümpften.

Der aufhaltsame Aufstieg der FPÖ

Bei aller Erleichterung über die abgewendete Großkatastrophe einer FPÖ auf Platz eins: Es gibt keinen Grund die Sektkorken knallen zu lassen. Eine effektive Strategie gegen die FPÖ wurde noch nicht gefunden. Dabei ist der Aufstieg der Rechten weder notwendig noch unaufhaltsam. Von der etablierten Politik – auch von SPÖ und Grünen – können wir dafür nichts erwarten. Weiter dazusitzen und darauf zu hoffen, dass sich der Aufstieg der FPÖ verlangsamt, wird nichts bringen außer böse Überraschungen. Solange Politik weiter gegen die Mehrheit der Menschen gemacht wird, solange die von der SPÖ getragenen „Reformen“ in Wirklichkeit Kürzungen und Belastungen bedeuteten, wird es keine grundlegende Trendwende geben.

Die Wahl in Wien zeigt aber auch, dass es keine Mehrheiten für rechte Positionen gibt und dass die praktische Solidarität mit den schwach Gehaltenen – an den Bahnhöfen, in Traiskirchen und in zahllosen privaten und zivilgesellschaftlichen Initiativen – auch auf der wahlpolitischen Ebene einen Unterschied machen kann. Der Stimmungsumschwung in der Öffentlichkeit wurde – das dürfen wir nicht vergessen – von den Geflüchteten selbst ermöglich und buchstäblich erkämpft, indem sie sich über Mauern, Zäune und Grenzen hinweggesetzt haben. Diesmal hat das dazu geführt, dass viele Menchen taktisch und mit Bauchweh „gegen Strache“ gewählt haben. Das kann, um eine leere Politikerfloskel zu zitieren, aber durchaus als „klarer Wählerauftrag“ gesehen werden. Dafür, dass ein Angebot gefunden werden muss, das nicht für Angst, sondern für die Hoffnung steht, dass ein besseres Leben für uns alle möglich ist. Statt eine Niederlage als Sieg zu feiern sollten wir uns darüber unterhalten, wie die nächsten Schritte dafür aussehen können.

Martin Konecny, Hanna Lichtenberger, Benjamin Opratko und Valentin Schwarz sind RedakteurInnen von mosaik-blog.

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