Von Verfassungsschutz-Biedermännern und brandstiftenden V-Leuten 

Der deutsche Inlandsgeheimdienst mit dem leicht irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ (VS) unterhält in seinen Beobachtungsobjekten ein mit Millionen Euro finanziertes System sogenannter Vertrauenleute. Bei diesen V-Männern und auch V-Frauen handelt es sich um Angehörige der beobachteten Szene, die für Geld Informationen liefern. Die Geschichte des V-Leute-Systems in Deutschland ist eine Geschichte von Skandalen, und das nicht erst seit Aufdeckung der NSU-Mordserie.

Der deutsche „Verfassungsschutz“ (VS) ist eine von drei Geheimdienstbehörden, die in der Bundesrepublik neben dem „Bundesnachrichtendienst“ (BND) mit Schwerpunkt Ausland, und dem „Militärischen Abschirmdienst“ mit dem Schwerpunkt auf der Bundeswehr, existieren. Genau genommen teilt sich der VS noch einmal auf 16 Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) und ein Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf. Damit existieren in der Bundesrepublik Deutschland 19 verschiedene und voneinander unabhängig agierende Geheimdienstbehörden. Ihre Unabhängigkeit voneinander zeigte sich zum Teil auch anhand der kafkaesken Situation, dass Vertrauens- oder Verbindungs-Männer (kurz V-Männer) des BfV und der LfV sich gegenseitig beobachteten, scheinbar ohne von der V-Tätigkeit des jeweils Anderen zu wissen.

Streng genommen lassen sich die bezahlten Informations-LieferantInnen noch einmal unterteilen in „InformantInnen“ und „V-Männer bzw.- frauen“, wobei diese vom Amt nochmals nach Qualität und Zuverlässigkeit bewertet werden.

V-Leute des deutschen VS dürfte es vor allem in der extrem rechten Szene zu geben, neuerdings auch in der islamistischen. In der so genannten „linksextremen“ Szene scheinen kaum V-Leute zu existieren, obwohl immer wieder Berichte über (misslungene) Anwerbeversuche auftauchen.

Das wird auch in dem Artikel „In Heimlichheim“ über den „Verfassungsschutz“ von Yassin Musharbash in der Zeitung „Die Zeit“ vom 14. Februar 2013 bestätigt: „Die Beschaffer-Faustregel lautet: Linksextremisten lassen sich fast nie anwerben, weil Mitarbeit als Verrat gilt; Ausländerextremisten machen häufiger mit; am einfachsten sind rechtsextreme Quellen zu gewinnen.“

Bezahlte AntidemokratInnen

Es sind keinesfalls umgedrehte oder geläuterte Nazis bzw. gewandelte DemokratInnen, die da vom Staat bezahlt werden. Es handelt sich um weiterhin überzeugte AntidemokratInnen und teils gewalttätige RassistInnen, die unter dem Schutz des VS agieren. Das versuchte auch der ehemalige bayrische Innenminister Günther Beckstein in der Sendung „Report“ 2014 auszudrücken, als er sagte: „Ein V-Mann hat nicht die ethische Klarheit, die ich von einem Kardinal oder Bischof erwarte, sondern er ist jemand, der in der Szene mitschwimmt.“

Diese Aussage verniedlicht aber sogar noch den Umstand, dass hier StaatsdienerInnen AntidemokratInnen bezahlen. In der Folge werden auch Vorbestrafte als V-Leute angeworben. Gerade sie eignen sich besonders als V-Leute, da sie über ihre Bewährungsstrafen erpressbar sind. Der Soziologie und Gewaltforscher Roland Eckert meint dazu: „Das ist in dieser V-Mann-Konstruktion eigentlich angelegt, dass gerade auch straffällig Gewordene oder im Notfall Erpressbare besonders ergiebig sind.

Offenbar verschaffte der VS verurteilten GewalttäterInnen, die zu V-Leuten wurden, kürzere Haftstrafen. Ein Geheimdienst kann demnach tatsächlich Gerichtsurteile beeinflussen. Wie genau das in Anbetracht der Gewaltenteilung funktioniert, ist etwas unklar. In einzelnen Fällen übernahm der VS auch die Anwaltskosten von Neonazis.

Unklar ist, wie hoch der Einfluss von Amt und V-Mann-FührerIn auf die jeweilige V-Person war oder ist. Auf jeden Fall entsteht häufig eine Symbiose gegenseitiger Hilfe und Unterstützung. Selbst der Polizei fiel in der Vergangenheit immer wieder auf, dass von ihnen beobachtete oder verfolgte Neonazis vom VS gestützt und geschützt wurden. So heißt es in einer internen Kritik des  BKA am Verfassungsschutz vom 3. Februar 1997: „Von etwa dreißig führenden Personen des rechtsextremistischen Spektrums sind acht als besonders aktiv und gleichzeitig als Quellen des Verfassungsschutzes festgestellt worden. Sie beteiligen sich u.a. an der Gründung von rechtsextremistischen Vereinigungen und Organisationen, der Reaktivierung einer verbotenen Vereinigung unter neuer Bezeichnung und den Versuchen der Gründung krimineller Vereinigungen. Weiter organisierten sie Veranstaltungen und Aktionen und stellten Kommunikationstechnik zur Verfügung. Zugleich wurden die Gruppen fachlich beraten und betreut. Vier andere Personen wurden ebenfalls als Quellen erkannt: Reaktionen weiterer Personen legten den Verdacht einer Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz nahe.“

Beim genaueren Hinschauen stellt sich auch die Frage, wer hier eigentlich wen instrumentalisiert oder kontrolliert. V-Leute sind nämlich oft keine hörigen AgentInnen des Staates, sondern handeln zum Teil im Einverständnis und unter Absprache mit ihren Organisationen. Der Journalist Anton Maegerle schrieb dazu 2015 in einem Artikel: „Seine Spitzel sehen sich nicht als V-Person des Verfassungsschutzes in ihrer jeweiligen Partei oder Gruppierung, sondern als V-Person ihrer jeweiligen Partei oder Gruppierung beim Verfassungsschutz.“

Dazu passt auch, dass einige enttarnte V-Leute sich gegenüber ihrer Szene rechtfertigten, dass sie erhaltene Honorare für ‘die Sache’ verwendet hätten. Doch selbst bei Nicht-Weiterleitung von Spitzel-Honoraren in die Szene, stellte die Bezahlung von Nazi-Kadern bei diesen Zeit und andere Ressourcen frei. Zudem versorgt der VS seine V-Leute nicht nur mit Geld, sondern auch mit Technik, Reise- und Telefonkosten-Erstattung und stützt damit die Kommunikationsstrukturen. Dadurch werden die weitergeleiteten Informationen kontrolliert und sind vermutlich größtenteils nutzlos.

Quellenschutz vor Strafverfolgung

Beim VS gilt das Prinzip „Quellenschutz vor Strafverfolgung“. So heißt es beispielsweise im „Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg“ von 2007 auf Seite 13: „Im Gegensatz zur Polizei ist der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen und muss daher keine Strafverfolgungsmaßnahmen einleiten, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt.“

Doch der VS leitet nicht nur keine Kenntnisse über strafbare Handndlungen an die entsprechenden Behörden weiter, er scheint seine V-Personen teils auch zu strafbaren Handlungen anzuleiten:

Die V-Leute bauen in manchen Fällen erst die Strukturen auf, die sie dann beobachten sollen. Etwas verdruckst wird diese Anstiftung von V-Leuten in der Szene unter Anleitung auch im „Handbuch für Theorie und Praxis“ des „Verfassungsschutz“ beschrieben: „Die Führung der V-Leute […] kann vorübergehend zu einem aktiven Einsatz führen, um durch die Stimme oder Meinung des V-Manns die Beschlüsse eines verfassungsfeindlichen Gremiums in einem dem Auftraggeber gewünschten Sinne zu beeinflußen. […] Dieses sog. Hochspielen eines V-Manns gehört […] zur hohen Schule der V-Mann-Führung.

Der Anwalt der ausgestiegenen Neonazi-V-Frau Sandra Franke, Moderatorin eines Neonazi-Onlineradios, erklärte für seine vor Gericht stehende Mandantin: „Unsere Mandantin wurde sehr intensiv geführt vom Verfassungsschutz. Es gab verschiedene Trefforte auf Autobahnen, Raststätten, Cafes, auch in der Wohnung. Und es wurde intensiv über die Tätigkeit auch beim Radio gesprochen. Diese Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sind zu keinem Zeitpunkt eingeschritten. Die Marschroute war in etwa so, dass unserer Mandantin gesagt wurde: Außer mit Drogen handeln oder Waffen schieben, könne sie alles tun.“

V-Leute und Geheimdienste sind antidemokratisch

Der Einsatz von V-Leuten lässt sich grundsätzlich aus drei Positionen heraus kritisieren. Aus einer taktischen, aus einer ethischen und aus einer grundsätzlich emanzipatorischen. Aus ersterer heraus lässt sich sagen, dass mit dem Einsatz von V-Leuten mehr Schaden angerichtet, als verhindert wird. Aus einer ethischen Sicht muss kritisiert werden, dass es moralisch mehr als fragwürdig ist, überzeugte Neonazis, die zum Teil StraftäterInnen sind, in ihrer politischen Arbeit zu stützen und zu schützen. Aus einem grundsätzlich emanzipatorischen Blickwinkel muss jedenfalls gelten, dass eine bessere, demokratische Gesellschaft nicht zusammen mit Geheimdiensten erreichbar ist. Eine fundamentale Kritik an Geheimdiensten darf auch nicht bei der Praxis der V-Leute stehen bleiben. Ein Geheimdienst mit oder ohne V-Leute ist von seinem Wesen her eine grundlegend antidemokratische Institution, u.a. weil er nie ausreichend von einer demokratisch legitimierten Institution kontrolliert werden kann.

Lucius Teidelbaum ist Historiker, freier Publizist und Rechercheur. Von ihm erschienen u.a. im Unrast-Verlag zwei Bücher zu den Themen „Braunzone Bundeswehr. `Rechtsum´ in der Männertruppe” (2012) und „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus” (2013).

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