Wie verhindert wurde, dass das Dorotheum Leichenteile aus der Kolonialzeit versteigert

Gestern hätte im Wiener Auktionshaus Dorotheum eine Sammlung von menschlichen Schädeln als „Tribal Art and Curiosity“ versteigert werden sollen. Es sind die sterblichen Überreste von Menschen aus Afrika, Südamerika und dem Südpazifik, die in der Kolonialzeit nach Europa gelangten und Teil einer privaten Sammlung wurden. Nach massiven Protesten, sowohl online als auch vor Ort, zog das Dorotheum die „Objekte“ aus der Auktion zurück. Wir haben mit Lore Shu und Belinda Kazeem-Kamiński darüber gesprochen, warum sie diese Proteste mit-organisiert haben, was der Verkauf von Leichenteilen mit der Gegenwart des Kolonialismus zu tun hat, und warum diese Geschichte noch nicht vorbei ist.

Lore, wie bist du darauf aufmerksam geworden, dass in Wien Leichenteile von Menschen aus Afrika, Südamerika und Asien versteigert werden sollten?

Lore Shu: Eine Person, die ich kenne, ist am Montag darauf gestoßen, dass die Versteigerung in einem italienischen Kunst-Blog beworben wurde, und hat es auf Facebook gepostet. Da bin ich draufgekommen: Hoppla, das ist ja hier in Wien!

Du bist dann noch am selben Abend zum Dorotheum gegangen, wo ein Vortrag von Steven Engelsman, dem Direktor des neuen Weltmuseums, zu diesem Thema stattfand.

Lore: Genau, wir waren fünf Leute, die in antirassistischen Zusammenhängen aktiv sind, die spontan beschlossen haben da hinzugehen. Denn wir haben uns schon gedacht, dass dieser Vortrag nur dazu dienen sollte, die Auktion am nächsten Tag zu bewerben. Kurz davor hatte ich auf Facebook darüber gepostet. Der Beitrag ist dann sehr schnell sehr oft geteilt worden und viele andere Menschen haben das mit eigenen Beiträgen aufgegriffen. Das war wirklich schön zu sehen, dass so ein Netzwerk funktioniert hat.

Wie ist der Abendvortrag dann verlaufen?

Lore: Im Vortrag selbst hat Steven Engelsman erst das neue Weltmuseum beworben und dann ewig lange von dem Seefahrer und Kolonialisten James Cook und dem „Austausch“ zwischen Europäern und indigenen Menschen geschwärmt. Dabei wurde ein völlig romantisiertes und verharmlosendes Bild vom „ersten Kontakt“ und der Kolonialisierung gezeichnet.

Mit keinem Wort wurde der Kolonialismus als etwas Negatives erwähnt. Dabei wurden nicht nur Kunstgegenstände, Schmuck oder Musikinstrumente, sondern dezidiert auch Körperteile wie Schädel oder sogenannte Schrumpfköpfe als Belege dafür genannt, dass Europäer so eine große Neugier gehabt hätten, sich auszutauschen. Das zeige das Interesse und die Wertschätzung für andere Kulturen. Man würde Dinge ja nicht sammeln, wenn man sie nicht schätze. Wir haben uns das angehört und in einer Pause begonnen, Fragen zu stellen und Kritik anzubringen.

Dann hat Jan Joris Visser, der Kurator der Auktion im Dorotheum, uns zur Seite genommen. Er meinte wir sollten unsere Kritik doch an ihn richten, nicht an den armen Vortragenden, der damit nichts zu tun hätte. Zugleich wurde ich, als einzige sichtbare nicht-weiße Person, von jemandem aus dem Publikum fotografiert. Ich fand das sehr übergriffig. Immerhin geht es hier um nigerianische Schädel, mein Vater kommt aus Nigeria, ich war die einzige Person dort mit einem Afro… aber er ließ sich davon nicht abbringen. Auch die Dorotheum-Security hat sich nicht zuständig gefühlt.

Im Gespräch meinte Jan Joris Visser dann, dass er überhaupt nicht verstehe, dass das rassistisch sein könnte, wenn man Schädel von Schwarzen und Braunen Menschen in Europa zum Verkauf anbietet. Wir haben versucht zu erklären, dass es einen Machtkontext gibt, wenn weiße Menschen hier eine Stunde lang den Kolonialismus abfeiern. Darauf meinte er, er sei ja gar nicht weiß, dass ich ebenso weiß wäre wie er, dass wir doch alle aus Afrika kämen und so weiter. Dass ich andere Vorfahren habe als er und deshalb auch andere Erfahrungen mache, hat er nicht akzeptiert. So ist die Diskussion recht schnell eskaliert.

Belinda, du beschäftigst dich schon lange mit den Auswirkungen von Kolonialismus und Rassismus auf Kunst, Museen und Ausstellungen. Was hat dich an dieser Auktion so besonders schockiert?

Belinda Kazeem-Kamiński: Gerade, weil ich mich schon lange damit beschäftige, hat es mich schockiert. Letzte Woche konnten wir die Neueröffnung des ehemaligen Völkerkundemuseums erleben. Es hat sich – ähnlich wie andere Museen dieser Art – als „Weltmuseum“ einen neuen Namen gegeben, als einen Schritt um mit den eigenen Altlasten zurecht zu kommen. Da war es für mich schon erstaunlich zu sehen, wie exotisierend die Eröffnung weiterhin aufgeladen war. Mein Erstaunen begann schon, als ich erfahren habe, dass das Eröffnungsfest von André Heller kuratiert wurde, bekannt für die exotisierende Show „Afrika! Afrika!“.

Vor diesem Hintergrund war ich erschüttert, als ich gestern erfahren habe, dass im Dorotheum Teile von Menschen – ich will sie nicht Objekte nennen – zum Handel angeboten werden. Es gibt sehr viele Arbeiten zu diesem Thema, so viele ExpertInnen, so viele AktivistInnen und Selbstorganisationen, die sich damit beschäftigen.

Es ist wirklich erstaunlich, dass so etwas im Jahr 2017 noch möglich ist. Eigentlich dürfte es kein Schock sein, weil wir täglich sehen, wie koloniale Gewalt reinszeniert wird. Trotzdem hat es mich stark getroffen. Auch durch das Bildmaterial, das dazu verbreitet wurde, und die Stellungnahmen von Jan Joris Visser, der meint, dass das ja alles ganz normal sei.

Ihr seid dann beide zum Dorotheum gegangen, um die Versteigerung anzusehen und dagegen zu protestieren. Wie war die Stimmung dort?

Belinda: Das Dorotheum hatte wohl das erste Mal Kontakt mit so vielen AktivistInnen of Color. Man hat die Nervosität im Haus gemerkt. Ich hatte eine Begegnung mit einer Mitarbeiterin des Dorotheums. Sie forderte mich mehrmals auf, zu deklarieren, was überhaupt mein Interesse sei, in diesem Haus zu sein und mir diese Objekte anzusehen. Meine Antwort, dass ich mir einfach die Ausstellung ansehe, weil sie mich interessiert, hat ihr nicht genügt. Ich behaupte, dass sie den anderen, weißen BesucherInnen diese Frage nicht gestellt hat. Offenbar reicht es, als Schwarze Person in diesem Raum zu sein, um für Aufruhr zu sorgen. Dabei habe ich mich einfach hingesetzt und die Auktion beobachtet.

Lore: Es war sehr viel Polizei da, die Stimmung war sehr unruhig. Die Leute, die wegen die Auktion da waren, hatten wohl Angst, dass jeden Augenblick etwas passieren könnte. Das finde ich auch gut. Sie sollen merken, dass sie gestört werden. Sie sollen sich nicht sicher fühlen, wenn sie sich auf ihre Kolonialzeit einen wichsen und tote Schwarze Köpfe für viertausend Euro kaufen wollen.

Kurz vor der Auktion um 14 Uhr wurde bekanntgegeben, dass die Leichenteile doch nicht versteigert werden. Würdet ihr das als Erfolg der Proteste werten?

Lore: Ja, es haben sich so viele Leute auf Facebook und Twitter zu Wort gemeldet. Viele haben Mails geschrieben oder beim Dorotheum angerufen. Das ist ein großer Erfolg, ich hätte nicht damit gerechnet, dass sich das so schnell vernetzt und wirklich dazu führt, dass die einknicken. Ich hätte gedacht, dass eine Institution wie das Dorotheum über so etwas eher lächeln und ihr Ding trotzdem durchziehen würde.

Belinda: Ja, es ist ein Erfolg. Aber für viele Menschen, die sich zu Wort gemeldet haben, ist die Geschichte sicherlich nicht abgeschlossen. Auch wenn das Dorotheum das wohl gerne so sehen würde. Denn diese Auktion ist nur ein Teil der alltäglichen Gewalt, die Menschen in diesem Land erleben.

Wir erleben eine alltägliche Normalisierung von kolonialer Gewalt. Kolonialismus ist eben keine abgeschlossene Geschichte. Deshalb möchte ich diesen Erfolg auch nicht vorschnell feiern, sondern lieber fragen: Was passiert jetzt? Diese Menschenteile wurden aus der Auktion zurückgezogen. Was bedeutet das? Gehen sie zurück an die „BesitzerInnen“?

Wie wird das Dorotheum zukünftig mit solchen Angelegenheiten umgehen? Wird es eine Sensibilisierung der Belegschaft geben? Gibt es die Bereitschaft, die eigene Position darin zu hinterfragen? Für mich schließen sich noch viele Fragen an diese Geschichte an.

Interview: Benjamin Opratko

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