UNDOK: Arbeitsrecht gilt für alle Arbeitnehmer*innen

Die UNDOK-Anlaufstelle hat Ende November die Informationskampagne ZUGANG JETZT! (www.zugang-jetzt.at) gestartet, die 100 namhafte VertreterInnen und ExpertInnen aus NGOs, Wissenschaft, Gewerkschaften, Kirchen, Medien, politischen Parteien und Arbeitgeber*innen zusammenbringt. Auch Betroffene undokumentierter kommen zu Wort. Sie alle sprechen sich für einen Arbeitsmarktzugang und ein selbstbestimmtes Leben von Asylwerber*innen in Österreich aus und fordern die politisch Verantwortlichen zum Handeln auf. mosaik-Redakteurin Hanna Lichtenberger sprach mit Sandra Stern über die Situation undokumentiert Arbeitender und über die Forderungen der UNDOK-Anlaufstelle, um die Situation für alle Arbeitnehmer*innen zu verbessern.

mosaik: Was versteht ihr unter undokumentierter Arbeit? Wer ist betroffen?
Sandra Stern: Migrations- und Beschäftigungsgesetze verwehren oder beschränken Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Dadurch werden sie informelle Sektoren gedrängt – das meint “undokumentiert Arbeit”. Wer in Österreich arbeiten darf, soll oder muss ist eine politische Frage. Aktuell gibt es in Österreich 28 verschiedene Aufenthaltsbewilligungen – der Großteil davon verwehrt oder schränkt den regulären Zugang zum Arbeitsmarkt ein.
Von dieser Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt sind zunächst alle Menschen aus Nicht-EU Staaten betroffen. Die größte Gruppe sind Asylwerber*innen, die in Österreich ein defacto Arbeitsverbot haben. Eine weitere Gruppe sind Studierende aus sogenannten Drittstaaten. Diese dürfen während eines Bachelorstudiums derzeit nur 10 und im Masterstudium nur 20 Wochenstunden arbeiten. Zugleich müssen Studierende aus Nicht-EU Ländern über 24 Jahre, um ihre Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, aktuell ein monatliches Einkommen von 880 Euro nachweisen. Auch die Freizügigkeit von EU-Bürger*innen nicht für alle. Kroat*innen etwa dürfen bis 2020 in Österreich nicht unselbstständig arbeiten. Und viele Arbeitnehmer*innen sind betroffen, weil Arbeitgeber*innen keine Beschäftigungsbewilligung für sie beantragen. Das heißt, viele Betroffenen wissen gar nicht, dass sie ohne Papiere arbeiten.

Könnt ihr abschätzen, wieviele undokumentierte Arbeitnehmer*innen es in Österreich gibt?
Undokumentierte Arbeit entzieht sich offiziellen Statistiken. Es ist daher schwierig, Zahlen zu nennen. Allerdings gehen wir davon aus, dass solange der Arbeitsmarkt derart beschränkt ist, der Großteil der betroffenen Menschen irgendwann undokumentiert arbeiten muss, um sich erhalten zu können.

In welchen Sektoren arbeiten vor allem undokumentierte Arbeitnehmer*innen?
Ein Klassiker ist natürlich die Baubranche, in der vor allem Männer undokumentiert oder scheinselbstständig arbeiten. Doch es wird in sehr vielen Branchen undokumentiert gearbeitet. Häufig handelt es sich dabei um Niedriglohnbranchen. Wenn in der Früh die Zeitung vor unserer Türe liegt oder wenn wir ein Paket von einem privaten Zustellungsdienst bekommen, sind es häufig scheinselbständige Arbeitnehmer*innen, die sie gebracht haben. Wenn wir in ein Restaurant essen gehen oder in einem Hotel übernachten, ist es sehr wahrscheinlich, dass jemand das Zimmer undokumentiert putzt, in der Küche jemand undokumentiert kocht oder kellnert. Viele Frauen arbeiten für Reinigungsfirmen oder in privaten Haushalten als Kindermädchen oder Pflegekraft. Männer arbeiten neben der Baubranche in der Metallbranche, in der Gastronomie, in der Landwirtschaft, im Verkehrs- und Transportbereich, als Hausmeister und Gärtner in Privathaushalten, im Autohandel, und auf Märkten. Doch wir hatten auch schon einen Kollegen, der im IT-Bereich einer Firma gearbeitet hat, ein Künstler und ein Sportler in der Beratung. Sie alle mussten undokumentiert arbeiten müssen, weil sie keinen freien Arbeitsmarktzugang hatten.

Welche Probleme ergeben sich bei undokumentierter Arbeit?
Das meisten Kolleg*innen, die zu uns kommen, haben den vereinbarten Lohn nicht bekommen. Wenn sie einen Lohn bekommen, dann liegt dieser meist unterhalb des gültigen Kollekitvvertrags. Arbeitgeber*innen bezahlen meist keine Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit und halten den Kolleg*innen das 13. und 14. Gehalt vor. Arbeitgeber*innen behaupten außerdem häufig, Urlaubs- und Weihnachtsgeld würde nur Christ*innen zustehen. Undokumentierte Arbeit ist oft schmutzig, gefährlich und anstregend. Zum Arbeitsalltag undokumentiert Arbeitender zählen häufig exzessive Arbeitszeiten und schlechte Arbeitsbedingungen. Es kommt auch zu körperlichen und sexuellen Übergriffen durch Arbeitgeber*innen. Bei Arbeitsunfällen sind die Kolleg*innen nicht versichert und haben nach einem Spitalsaufenthalt mit unter unbezahlbare Schulden. Nach Unfällen oder längerer Krankheit hören sie vom Chef meist »Ich brauch dich nicht mehr«. Manche Kolleg*innen arbeiten teilweise über viele Jahre lang undokumentiert in Österreich und fallen dann um ihre Pension um.

Welche Rechte haben undokumentierte Arbeitnehmer*innen?
Unabhängig davon, ob man mit oder ohne Papiere arbeitet, Sozialversicherungsgesetze, Arbeitsrecht und kollektivvertragliche Mindeststandards gelten in Österreich für alle Arbeitnehmer*innen. Alle Arbeitnehmer*innen haben also ein Recht auf den entsprechenden Mindestlohn, Arbeitgeber*innen sind dazu verpflichtet, maximale Arbeitszeiten einzuhalten, menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu gewährleisten und müssen Menschen bei der Sozialversicherung anmelden. Alle Arbeitnehmer*innen haben das Recht zum Arzt/zur Ärztin oder ins Krankenhaus zu gehen, oder unfall- und pensionsversichert zu sein.

Wie können sich undokumentiert Arbeitende wehren? Fällt das dann oft aus sie zurück?
Die gute Nachricht ist, wie bereits erwähnt: Alle Menschen haben Arbeitsrechte, wenn sie hier arbeiten. Diese Rechte können sie einfordern. Aber die schlechte Nachricht ist: Recht haben ist nicht gleich Recht bekommen. Zum einen sind Migrant*innen von ihrem/ihrer Arbeitgeber*in immens abhängig. Zum anderen haben undokumentiert Arbeitende oft ein aufenthaltsrechtliches Risiko, wenn sie Schritte gegen Arbeitgeber*innen setzen. Und viele Arbeitnehmer*innen wissen nicht über ihre Rechte Bescheid. Die UNDOK-Anlaufstelle bietet daher kostenlose und anonyme Beratung in mehreren Sprachen an. Darüber hinaus halten wir seit 1,5 Jahren Arbeitsrechte-Workshops für undokumentiert Arbeitende und Multiplikator*innen, in denen wir (potenziell) Betroffenen über ihre Arbeits- und Sozialrechte aufklären sowie praktische Schritte vermitteln, wie sie sich gegen ausbeuterische Praktiken ihrer Arbeitgeber*innen wehren können. In der Zwischenzeit haben wir mit diesen Workshops bereits über 1.100 Menschen erreicht.

Wann und wie ist denn die Initiative UNDOK entstanden?
Alles begann im Dezember 2009 mit einem Filmabend. Damals starteten Aktivist*innen der Gruppe PrekärCafé, aufbauend auf früheren Initiativen, die Kampagne »Undokumentierte Arbeit und Gewerkschaften« und unterstützten damit die Vernetzung zwischen verschiedenen Akteur*innen. Wir wollten vor allem Gewerkschafter*innen ins Boot holen. Daraus entstand letztlich, vier Jahre später, die UNDOK-Anlaufstelle mit vier hauptamtlichen Teilzeitmitarbeiter*innen. Zwischen damals und heute liegen mehrere Jahre Vernetzungsarbeit und der Aufbau eines stabilen Netzwerks verschiedener Akteur*innen sowie ein langer Atem. Mittlerweile ist UNDOK ein erfolgreiches Kooperationsprojekt von Teilgewerkschaften (GBH, GPA-djp, PROGE, vida), dem ÖGB, der Arbeiterkammer Wien, der ÖH Bundesvertretung, NGOs sowie selbstorganisierten Migrant*innenorganisationen und basisgewerkschaftlichen Aktivist*innen.

Gibt es schon die eine oder andere Erfolgsgeschichte von UNDOK?
In den zwei Jahren seit der Eröffnung konnten wir bereits über 350 Kolleg*innen beraten und zahlreiche Kolleg*innen dabei unterstützen, ihre arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüche gegenüber ihren Arbeitgeber*innen erfolgreich einzufordern. Auch vor dem Arbeits- und Sozialgericht hatten wir bereits einige Erfolge. Etwa im Fall von Herr R. aus Serbien. Nach einem Arbeitsunfall rief sein Arbeitgeber nicht die Rettung, sondern beauftragte einen anderen Arbeiter damit, ihn umzuziehen und mit dessen Privatauto ins Spital zu bringen. Es sollte nicht wie ein Arbeitsunfall aussehen. Erst im Spital erfuhr Herr R., dass er nicht angemeldet war und undokumentiert gearbeitet hatte. Letztlich mussten ihm zwei Zehen amputiert werden und er erhielt eine Spitalsrechnung von 43.000 Euro. In Kooperation mit der Arbeiterkammer Niederösterreich konnten wir Herrn R. dabei unterstützen, zu seinem Recht zu kommen. Das Arbeits- und Sozialgericht gab ihm letztlich Recht. Er erhielt arbeits- und sozialrechtliche Ansprüche in der Höhe von 14.500 Euro. Die Krankenhausrechnung wurde von der Gebietskrankenkasse übernommen.

In der aktuellen Kampagne fordert ihr ein Handeln der politisch Zuständigen? Was sind Eure Forderungen?
Aus Sicht der UNDOK-Anlaufstelle ist klar, alle Menschen, die legal in Österreich leben, müssen arbeiten dürfen. Ziel muss es auch sein, unabhängig vom Aufenthaltsstatus menschenwürdige Beschäftigungsformen herzustellen. Im Fall von Asylwerber*innen würde dies die sofortige Aufhebung des »Bartenstein-Erlasses« bedeuten, der die Arbeitsmöglichkeiten auf Saisonarbeit und gemeinnützige Arbeit einschränkt, sowie einen uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang nach längstens 3 Monaten Wartezeit.
Darüber hinaus brauchen undokumentiert Arbeitende Parteienstellung beim AMS. Zur Zeit kann laut Ausländerbeschäftigungsgesetzt nur ein/e Arbeitgeber*in einen Antrag auf eine Beschäftigungsbewilligung für eine Person stellen. Das hat eine enorme Abhängigkeit von einem/einer einzelnen Arbeitgeber*in zur Folge. Des Weiteren brauchen Arbeitnehmer*innen zumindest für die Dauer eines arbeits- und sozialrechtlichen Verfahrens eine Aufenthaltsbewilligung für sich und ihre Angehörigen, damit sie effektive Schritte gegen massive Ausbeutung setzen können.

Wieso ist es auch für alle anderen wichtig, dass es diese Kampagne und eure Initiative gibt?
Dass alle Arbeitnehmer*innen die gleichen Rechte – wie etwa den gleichen Lohn für gleiche Arbeit – bekommen, ist im Interesse aller. Nur so können Lohn- und Sozialdumping verhindert werden. Wenn wir unmenschliche Fremden- und Asylgesetze kritisieren, dann müssen wir auch protektionistische Arbeitsmarktpolitik und den Ausschluss von Migrant*innen vom Arbeitsmarkt kritisieren. Die jetzige Regelung spielt nur Arbeitgeber*innen und politischen Kräften in die Hände, die Profit aus der zunehmenden Spaltung von Arbeitnehmer*innen schlagen. So ist etwa der Arbeitsmarktzugang sowie ein selbstbestimmtes Leben von Asylwerber*innen in Österreich letztlich im Sinne aller Beschäftigten.

Sandra Stern arbeitet für die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender (UNDOK) in Wien im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Workshops und aufsuchende Arbeit. Weiters gibt sie Organizing-Trainings für Betriebsrät*innen und Gewerkschafter*innen.

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