Türkei: Wie Sobotka und Erdoğan vom geplanten Wahlkampfverbot profitieren

Sobotka und Kurz wollen Wahlkampfveranstaltungen türkischer PolitikerInnen in Österreich verbieten. Damit schränken sie das Versammlungsrecht ein. Sie behaupten, damit Polarisierung zu verhindern und Demokratie und Menschenrechte zu sichern. Tatsächlich legt die Regierung eine erstaunliche Doppelmoral an den Tag. Alev Çakır schreibt, wie sowohl Sobotka als auch Erdoğan von dem Vorstoß profitieren.

Die Türkei stimmt am 16. April über eine umstrittene Verfassungsänderung ab, wodurch dem Präsidenten umfassende Rechte eingeräumt werden sollen. Erdoğans AKP-Regierung wirbt dafür auch um Stimmen in Europa. Nach dem Vorstoß zur Einschränkung des Demonstrationsrechts in Österreich, wollen Innenminister Wolfgang Sobotka und Außenminister Sebastian Kurz (beide ÖVP) das Versammlungsrecht mit dem geplanten Verbot der Wahlkampfauftritte der türkischen AKP-Regierung einschränken. Das Gesetz sieht ein Verbot aller politischen Versammlungen von PolitikerInnen aus Nicht-EU-Ländern vor, wenn dort direkte Bezüge zu politischen Entwicklungen im Ausland gemacht werden. Das gilt vor allem dann, wenn die politischen Auftritte Menschenrechte und Demokratie sowie das „friedliche Zusammenleben“ und die Integration von MigrantInnen in Österreich gefährden. Auch in Deutschland gibt es ähnliche Diskussionen zum Verbot von Wahlkampfauftritten.

Die Doppelmoral der europäischen Regierungen

Durch den sogenannten „Flüchtlingsdeal“ zwischen der EU und der Türkei, durch den Milliarden an die AKP-Regierung fließen, werden seit 2016 Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen, daran gehindert weiter nach Europa zu kommen. Die EU kauft sich dadurch vom Menschenrecht auf Asyl frei. Vor diesem Hintergrund zeigt der Vorstoß für ein Verbot von Wahlkampfauftritten und die Betonung von Menschenrechten und europäischen Werten einmal mehr die Doppelmoral der europäischen Regierungen.

In Österreich sind Vorurteile und Rassismus gegenüber Menschen aus der Türkei besonders ausgeprägt. Durch den populistischen Vorstoß von Sobotka und Kurz werden diese Vorurteile nicht nur bedient, sondern weiter verstärkt. Das dient vor allem dazu, die eigene Machtposition zu stärken. Außen- und innenpolitische Themen werden vermischt und mit der Debatte um das Wahlkampfverbot wird ein innenpolitisches Thema als „Ausländerthema“ besetzt. Diese Haltung ist nicht neu. Populistische Floskeln auf der einen Seite sowie verhaltene Schweigsamkeit und Nichthandeln auf der anderen Seite – während weiterhin wirtschaftliche Beziehungen mit der Türkei gepflegt werden – sind keine Seltenheit. So hat Österreich zum Beispiel die Türkei bisher nicht unter Druck gesetzt, politische Gefangene freizulassen. Und das obwohl die türkische Regierung vor allem seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 mit voller Härte gegen Oppositionelle vorgeht.

Demokratiepolitisch fragwürdiges Verbot

Die geplanten Wahlkampfauftritte der türkischen AKP-Regierung liefern für Sobotka eine Legitimation für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Sobotka und Kurz argumentieren, dass durch die Wahlkampfauftritte ein innenpolitischer türkischer Konflikt nach Österreich importiert wird. Das würde die Stimmung unter türkeistämmigen Menschen aufheizen und zu einer vertieften Polarisierung führen. Das ist demokratiepolitisch mehr als fragwürdig, immerhin geht es um eine Bevölkerungsgruppe, die großteils seit über 50 Jahren in Österreich lebt und arbeitet. Integration wird nicht als Teilhabe, sondern als Anpassung verstanden. „Wir kennen unsere unter Beobachtung stehenden Ethnien“, erklärte der Innenminister erst kürzlich. Er signalisiert damit, dass Menschen aus der Türkei auch nach über 50 Jahren kein gleichberechtigter Teil der österreichischen Gesellschaft sind und vor allem unter den Aspekten von Sicherheit, Terrorismus und Kriminalität angerufen werden.

Polarisierung gibt es bereits

Außerdem gibt es die Polarisierung schon längst, egal ob mit oder ohne Wahlkampfauftritte. Mit einer Einschränkung des Versammlungsrechts wird dieser nicht entgegengewirkt. Es birgt im Gegenteil die Gefahr, dass die polarisierte Stimmung weiter aufgeheizt und die Erdoğan-AnhängerInnen dadurch weiter gestärkt werden. Das spielt der türkischen Regierung in die Hände, indem sie das Verbot als „Türken-feindliche“ Aktion instrumentalisieren kann. Das wirkt vor allem bei Menschen, die sich aufgrund von politischen, ökonomischen und sozialen Ausschlüssen in Österreich ohnehin als „BürgerInnen zweiter Klasse“ fühlen und unter ständigem Generalverdacht stehen. Erdoğan nutzt diese Situation für seine anti-westliche und anti-EU-Rhetorik, die ihm viel Unterstützung von türkeistämmigen Menschen außerhalb der Türkei sowie von WählerInnen in der Türkei gesichert hat. Er kann sich als Stimme „des kleinen Mannes“ in der Türkei und der unterdrückten sowie ausgeschlossenen türkeistämmigen Menschen in Europa inszenieren.

Menschenrechte gelten für alle

Wenn tatsächlich Demokratie und Menschenrechte die Beweggründe der österreichischen Regierung sind, kann sie ihre Verantwortung nicht verschieben, sondern hat sowohl eine innenpolitische als auch eine außenpolitische Verantwortung: Innenpolitisch müssen Partizipationsmöglichkeiten für alle Menschen, die in Österreich leben und arbeiten, geschaffen werden, unabhängig von ihrer Herkunft. Außenpolitisch muss tatsächlicher und nachhaltiger politischer Druck auf die türkische Regierung ausgeübt werden, um die Menschenrechte in der Türkei zu sichern. Das könnte zum Beispiel damit beginnen, sich ernsthaft für die Freilassung der politischen Gefangenen einzusetzen.

Alev Çakır ist Politikwissenschafterin in Wien und forscht zu Transnationalismus und Migration mit Schwerpunkt auf die Türkei.

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