TTIP: Das letzte Aufgebot des Neoliberalismus? Teil 1

Im ersten Teil seiner Abrechnung mit TTIP berichtet der Aktivist Gernot Almesberger über Vergangenheit und Gegenwart der Bewegungen gegen die undemokratischen transnationalen Freihandelsabkommen TTIP, CETA, TiSA & Co. 

Es ist gar nicht so einfach, den Überblick über die vielen Handelsabkommen zu behalten, die gerade gleichzeitig und weltweit verhandelt werden. Dazu gehören etwa CETA (zwischen der EU und Kanada), TTIP (zwischen der EU und USA), TiSA (zwischen der EU und 22 weiteren Staaten), FTA (zwischen der EU und Japan) oder auch TPP, das die USA mit mehreren asiatischen Staaten verhandelt. CETA, TTIP und TiSA werden wohl bei einem Abschluss die größten Auswirkungen auf die EU-BürgerInnen haben. Sie werden praktisch alle Lebensbereiche betreffen. Themen wie Bildung, Lebensmittel- und Umweltstandards oder Arbeits- und Sozialrechte, Fragen geistigen Eigentums sowie öffentlichen Förderungen und Subventionen, Energie, Daseinsvorsorge, Gemeinwohl, das Rechtssystem, Beschaffungswesen und viele mehr werden in den Vertragstexten berührt.

Pokern mit unseren Lebensbereichen

Man könnte meinen, dass solch einschneidende Verträge breit diskutiert werden und sich ExpertInnen viel Zeit nehmen, um das Bestmögliche für alle Menschen herauszuholen. Das Gegenteil ist der Fall, weil sie alle geheim verhandelt werden. Und warum muss das alles geheim sein? Die Kommission will sich von den VerhandlungspartnerInnen nicht in die Karten sehen lassen. Das klingt eher nach einem Pokerspiel, wo jeneR mit den besseren Karten oder dem größeren Talent zum Bluff gewinnt.

Nach den ersten Aktionen verschiedener NGOs, begannen EU-weit auch diversen Parteien im EU-Parlament und in den Nationalparlamenten ihre Stimmen zu erheben. Überall verlangten GegnerInnen Argumente für diese Abkommen. Der damalige EU-Handelskommissar Karel De Gucht versuchte TTIP damit zu verkaufen, ein tolles Wirtschaftswachstum, viele neue Arbeitsplätze und für jedeN von uns mehr Geld zu versprechen. Irgendwann rückte er die Studie dazu heraus und von JournalistInnen gefragt, ob bei der von der Kommission beauftragten Studie die angeführten 0,048 Prozent BIP Wachstum pro Jahr nicht zu klein für eine seriöse Bewertung wären, meinte er dazu: „Zuerst einmal sollten wir hier nicht mit Prozenten argumentieren!“ und brach das Gespräch ab.

Damit war bei den meisten Menschen, die die Verhandlungen mitverfolgten, das letzte Vertrauen in die EU-Kommission beim Teufel und die Protestbewegungen nahmen Schwung auf. Auch wir, die „Initiativplattform TTIP stoppen! Oberösterreich“ hatte am 15.05.2014 ihre erste Demonstration in Linz mit mehr als 800 TeilnehmerInnen. Wir als Veranstalter waren selbst davon überrascht, denn mit so einer breiten Zustimmung hatten wir vorerst nicht gerechnet. Dass am 15. Mai 2014 erfreulicher Weise auch noch das Land Oberösterreich und die Stadt Linz eine Resolution gegen TTIP an den Nationalrat verabschiedeten, bekräftigte unser Tun noch mehr.

So sieht Demokratie nicht aus

Ein erster Anfang war gemacht und überall begannen BürgerInnen und auch PolitikerInnen unangenehme Fragen zu stellen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Immer mehr Regionen, Gemeinden und Städte verabschiedeten Resolutionen in ganz Europa. Das Vorgehen der Kommission führte immer wieder zu weiteren Mobilisierungswellen gegen das Abkommen. Denn die Kommission weigerte sich standhaft, die Verhandlungsdokumente zu veröffentlichen. Bei den laufenden Verhandlungen kam es zu Konsultationen durch Interessenvertretungen, die sehr wohl Zugriff auf alle Unterlagen hatten. Dass mehr als 90 Prozent davon Interessenvertretungen der Industrie und globaler Akteure waren, kam noch erschwerend hinzu. Mutige Menschen leakten immer wieder Teile der Verhandlungsdokumente: Nur so wurde öffentlich, dass etwa Schiedsgerichte und regulatorische Kooperation Gegenstand der Verhandlungen sind.

Die Demokratie, die wir meinen

Eine sich bereits formierende Bewegung, mit damals europaweit fast 300 Organisationen, brachte eine Europäische BürgerInneninitiative (EBI) ein, um TTIP und CETA zu stoppen. Die Kommission lehnte diese im September 2014 ab: Diese würde sich auf ein Abkommen beziehen, welches noch verhandelt würde. Da die Dokumente dazu geheim gehalten würden, beziehe sich die Europäische BürgerInneninitiative somit auf nichts. Ein weiterer Fehler der Kommission, der ihre Distanz zu den EU-BürgerInnen noch deutlicher machte. Die EBI kam dann trotzdem als „selbstorganisierte EBI“. Sie läuft seit 6. Oktober 2014 für ein Jahr und hat mit Ende März in ganz Europa mehr als 1,6 Millionen Unterschriften erreicht. Die Ablehnung der Kommission hatte sich also bezahlt gemacht und sie legten weiter nach.

Ende September wurde  die Einigung über das CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU verkündet und die Kommission betonte, dass weder Punkt noch Beistrich veränderbar sind. Proteste flackerten überall auf. Diese waren in Europa nicht mehr zu übersehen und überhören, aber auch in Kanada und den USA verschafften sich KritikerInnen Gehör.

Zunehmender Widerstand

Der geplante zweite europaweite Aktionstag am 11.10.2014 war ein voller Erfolg. An unterschiedlichen Orten der EU waren zigtausend Menschen auf der Straße. Zugleich wurde der Vertragstext von CETA bekannt und machte deutlich, wie berechtigt die Befürchtungen der Gegenbewegung sind. Denn CETA gilt als Blaupause für TTIP. Die EU-Kommission reagierte langsam auf das Stimmungstief bei den EU-BürgerInnen, stoppte die TTIP Verhandlungen in kritischen Kapiteln, wartete auf die Pensionierung vom EU-Handelskommissar Karel De Gucht. Sie hofften, mit der neuen EU- Handelskommissarin Cecilia Malmström frischen Wind und Transparenz in die Verhandlungen um TTIP zu bringen. Dass dem nicht so ist, zeigt sich nun mehr als deutlich. Dass der deutscher SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von „Mit mir keine Schiedsgerichte!“ zu „Ohne diese Abkommen werden uns unsere Kinder verdammen!“ umschwenkte, half da sicher mit. Nicht zuletzt befeuerten auch die Analysen zu den Auswirkungen des zwanzigjährigen Bestehens von NAFTA Abkommen (Mexiko, Kanada und USA), die Ablehnung dieser Handelsabkommen. Die berichten von Millionen Arbeitsplatzverlusten seit Abschluss des Vertrages.

Seit Beginn 2015 betreibt die EU-Kommission eine Charmeoffensive: Eine kleine Zahl geprüfter EU-ParlamentarierInnen bekamen einen Termin zur Einsichtnahme der Verhandlungsdokumente. Im Raum 18 können sie, nach bestandener Leibesvisitation und ausgerüstet mit Kommissionsbleistift und Kommissionspapier, die Dokumente studieren. Natürlich müssen sie vorher unterschreiben, dass die angesehenen TTIP-Verhandlungsdokumente nicht weiter gegeben werden dürfen.

Die selbstorganisierte EBI bekam durch jedes dieser Fettnäpfchen zusätzlich Unterstützung,  zusehends wuchs der Widerstand der Zivilgesellschaft. Auch wir als Initiativplattform Oberöstrreich waren gut gebucht, im Schnitt tragen wir ein bis zwei Mal pro Woche zu den Handelsabkommen vor. Wir sprachen mit Medien, PensionistInnen, SchülerInnen, Bauern und Bäuerinnen, PädagogInnen, GewerkschafterInnen und PolitikerInnen. Tausende Menschen haben wir auf diesem Weg erreicht.

Wem nützt es?

Ende Jänner 2015 richtete wieder Sigmar Gabriel den TTIP-KritikerInnen beim Weltwirtschaftsforum in Davos vor laufender Kamera aus: „Vielleicht ist die Debatte in Deutschland manchmal schwieriger als in anderen Länder, weil wir ein Land sind, das reich und hysterisch ist.“  Meiner Meinung nach, verpasste er dem Handelsabkommen damit einen weiteren Dämpfer. Eigentlich hätte die EU-Kommission längst verstehen müssen, dass nur ein sofortiger Stopp der Verhandlungen und ein etwaiger Neuanfang akzeptabel wären. Doch noch macht sie weiter, als gäbe es keinen massenhaften Protest.

Auch in Asien geht die Angst bezüglich der Auswirkungen durch diese Art von Handelsabkommen auf Mensch, Pflanze und Tier um. Und auch dort hören wir von mehr und mehr Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Es scheint, als ob fast niemand diesen Abkommen traut. Wem nützt es, fragen wir uns? Wem nützen private und gewinnorientierte Schiedsgerichte, regulatorische Kooperationsräte, Stillhalteklauseln, Entfernung von nichttarifären Handelshemmnissen, auch bekannt als Sozial- und Umweltstandards, transatlantische Ausschreibeverpflichtungen, uvm.? Selten uns, selten den kleinen- und mittleren Gewerben, selten den kommunalen Wassergenossenschaften, selten den ArbeiterInnen, selten den lokalen Tauschkreisen, selten der Biolandwirtschaft, selten den NGOs und selten den LokalpolitikerInnen. Das bringt die Menschen zum Protest auf die Straße. Das gleiche Bild zeigt sich, wenn wir über den Teich sehen und ebenso Richtung Asien. Der Kampf ist nicht USA gegen den Rest der Welt, sondern ein Kampf zwischen oben und unten.

Am 18.4.2015 findet wieder ein internationaler Aktionstag gegen TTIP statt. Auch dieses Mal werden unzählige Menschen ihren Protest auf die Straße tragen. Hier findet sich ein Überblick der verschiedenen Aktionen in ganz Österreich.

Gernot Almesberger ist Sprecher der „Initiativplattform TTIP stoppen! Oberösterreich“.

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