Steuerreform: Vorbei und daneben

Die größte Steuerreform aller Zeiten ist es geworden, verkündete Faymann in der Nacht auf den 13. März stolz. Fünf Milliarden werde sie umfassen, beinahe vollständig in die Entlastung der ArbeitnehmerInnen fließen. Den ganzen Tag über wurden bereits erste Details bekannt. Markus Koza, Vertreter der UG-Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB-Vorstand, über die Tarifreform, die zu erwartende Ersparnis und die Gegenfinanzierungsmaßnahmen.

Ausgesprochen wohlwollend zeigt sich in einer ersten Einschätzung der ÖGB. Der darf sich tatsächlich freuen. 5,9 Mrd. Steuerentlastung hat er gefordert und im Rahmen der „Lohnsteuer runter!“- Kampagne fast 900.000 Unterschriften gesammelt. Und er hat „Lohnsteuer runter“ bekommen. Und zusätzlich einen Tarif, der dem des ÖGB sehr ähnlich ist. Und dass es keine Vermögenssteuern gibt? Was soll’s, „Lohnsteuer runter“ war die Devise, nicht „Vermögenssteuern rauf“. Eine Tarifreform wollten die Gewerkschaften, keine Steuerstrukturreform. Die ArbeitnehmerInnen entlasten – alle ArbeitnehmerInnen. Das ist gelungen. Ein Erfolg der österreichischen Gewerkschaften, der Kampagne. Wenn er sich nur nicht als Pyrrhussieg erweist. Denn so mancher „politische“ Sieg kann sich nur allzu bald in ein soziales und ökonomisches Desaster wandeln…

Kurze Geschichte einer Themenverfehlung

Bevor es an eine Einschätzung der Steuerreform und ihrer konkreten Auswirkungen geht, ein Blick zurück – oder besser gesagt: auf das real existierende österreichische Steuersystem. Nun, da sind die strukturellen Probleme weitgehend bekannt und das seit nunmehr Jahrzehnten: Arbeit und ArbeitnehmerInnen sind im europäischen Vergleich hoch besteuert, Vermögen dagegen so gut wie gar nicht. Ausgesprochen schwach ausgeprägt sind zudem ökologische Steuerkomponenten. Hinsichtlich der Konsumbesteuerung liegt Österreich im europäischen Mittelfeld. In Zahlen für 2013 ausgedrückt stellt sich die Situation in Österreich wie folgt dar:

  • Beinahe zwei Drittel des Steueraufkommens stammen aus der Lohn- und der Umsatzsteuer. Das Lohnsteueraufkommen lag dabei mit 24,6 Mrd. Euro (32,2 % des Steueraufkommens) nur noch knapp hinter jenem der Umsatzsteuer mit 24,9 Mrd. Euro (32,6 %).
  • Als österreichisches Spezifikum gilt der hohe Anteil an lohnbezogenen Steuern und Abgaben  (Kommunalabgabe, FLAF-Beiträge etc.) am gesamten Steuer- und Abgabenaufkommen: dieser liegt bei 6,9 % – im OECD-Schnitt dagegen gerade einmal bei 1,1 %.
  • Der Anteil vermögensbezogener Steuern am gesamten Steueraufkommen ist dagegen mit 1,2 % verschwindend gering. 1990 lag dieser Anteil noch bei 2,7 %. Im Durchschnitt der OECD-Staaten liegt der Anteil der Vermögenssteuern am gesamten Steuerkuchen bei 5,4 %.
  • Der Anteil von klassischen Ökosteuern an der gesamten Steuer- und Abgabenquote (Steuern und SV-Beiträge) beläuft sich auf knapp 6% (bzw. 8,37 Mrd. Euro) und liegt damit unter dem europäischen Schnitt.

Spätestens mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise und milliardenschweren Rettungspaketen für die Banken geriet die Steuerstruktur verstärkt in den Fokus öffentlicher Debatten: Vermögende sollten endlich einen entsprechenden Beitrag zur Rettung „ihrer“ Vermögen leisten. Die massive Ungleichverteilung bei den Vermögen und die aus der Struktur des österreichischen Steuersystems resultierende Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Steuerlast ließ die Forderung nach einer Steuerstrukturreform immer lauter werden. Zusätzlich gewann mit der Klimakrise und wachsenden Ressourcenknappheit auch die Forderung nach einer Ökologisierung des Steuersystems wieder an Aufmerksamkeit.

Verschiebung der Steuerlast von Arbeit zu Kapital?

Gerade innerhalb der Gewerkschaftsbewegung und ihrer Institutionen – insbesondere der AK – wurde die Forderung nach einer Steuerstrukturreform – im Sinne einer Verschiebung der Steuerlast von Arbeit hin zu Kapital und Vermögen – bald eine der zentralsten Forderungen. Nicht zuletzt, weil krisenbedingt enorme budgetäre Probleme auftraten und die finanziellen Ressourcen für notwendige Investitionen in Pflege und Bildung vollkommen unzureichend waren. Befördert wurde die Debatte um ein gerechteres Steuersystem durch die erstmalige Erhebung der Haushaltsvermögen durch die OeNB im Rahmen der sogenannten HFCS-Erhebung. Damit lagen endlich Daten zur Vermögensverteilung in Österreich vor, die bisherige Schätzungen hinsichtlich der Vermögenskonzentration bzw. -lage in Österreich weit übertrafen. Damit wurde auch offensichtlich, welches Potential in einer Vermögensbesteuerung in Österreich liegen würde.

Im Zuge der Steuerreform-Kampagne des ÖGB verabschiedeten sich allerdings Gewerkschaften und AK zusehends von der Forderung nach einer Steuerstrukturreform. Dem „Lohnsteuer runter“ folgte kein „Vermögenssteuern rauf“ sondern lediglich einer kleiner Absatz im Bereich möglicher Gegenfinanzierungsmaßnahmen. „Lohnsteuer runter“ – und das im stolzen Ausmaß von 5,9 Mrd. Euro – sollte die zentrale Botschaft sein. Doch der berechtigten Forderung nach einer steuerlichen Entlastung der ArbeitnehmerInnen folgte nicht die notwendige Bedingung der Gegenfinanzierung über höhere Steuern auf Kapital und Vermögen.

Wenig Beachtung fand auch die Frage der verteilungsgerechten Ausgestaltung einer Tarifreform, insbesondere zwischen Männern und Frauen, niedrigen und hohen Einkommen – was nicht zuletzt anhand der Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage für den Spitzensteuersatz und der absoluten Entlastung oberer Einkommensgruppen in diversen Rechenmodellen ersichtlich ist. Und aus einer weitgehenden Ausblendung dessen, wie sinnvoll eine derartige Steuerreform aus einer makroökonomischen Sicht denn tatsächlich ist. Die volkswirtschaftliche Komponente bleibt in den Steuervorschlägen von ÖGB und AK sowie der nun vorliegenden Steuerreform nämlich weitgehend ausgeblendet. Und das ist tatsächlich absurd, ist doch gerade die Ausgestaltung eines Steuersystems in hohem Maße Wirtschaftspolitik.

Ansprüche an eine Steuerreform in Krisenzeiten

Was wären aus einer fortschrittlichen, linken Perspektive Ansprüche an eine Steuerreform? An eine Steuerreform – nicht zu vergessen – mitten in der Krise, im Zeichen von Rekordarbeitslosigkeit und einer immer ungleicher werdenden Verteilung, von restriktiven Budgetvorgaben und daraus bedingtem Investitionsrückstau, um nicht zu sagen -stopp?

  • Eine Steuerreform muss budgetäre Spielräume für notwendige Investitionen in Bildung, soziale Dienste, Arbeitsmarktpolitik und andere konjunkturelle Maßnahmen schaffen. Das wird vermutlich nur mit Mehreinnahmen gehen. Diese Mehreinnahmen sollten dabei insbesondere aus Steuern kommen, welche weitgehend „konjunkturneutral“ wirken, also nicht negativ auf die Gesamtnachfrage. Vermögenssteuern gelten als derartige Steuern. Ein überwiegender Teil aus Vermögenssteuereinnahmen sollte daher für konjunkturelle Maßnahmen zur Verfügung stehen, um über eine expansive Ausgabenpolitik Nachfrage und so Beschäftigung zu schaffen.
  • Eine Steuerreform muss im Rahmen ihrer Möglichkeiten versuchen, die verteilungspolitische Schieflage zu korrigieren – und zwar sowohl hinsichtlich der Besteuerung von Arbeit und Kapital, als auch innerhalb der jeweiligen Gruppe. Entsprechend muss eine Tarifreform insbesondere auf die Stärkung unterer und mittlerer Einkommensgruppen abzielen, bei gleichzeitiger Abschöpfung unverhältnismäßiger Entlastungsgewinne in oberen Einkommensgruppen. Die Stärkung unterer Einkommensgruppen hat dabei zusätzlich die Stärkung der Binnennachfrage zur Folge. Gleichzeitig muss die Steuerlast von Arbeit zu Kapital verschoben werden – hin zu Gewinnen, Vermögen und Vermögenszuwächsen. Der Besteuerung von Vermögenssubstanz kommt dabei nicht nur aus verteilungs-, sondern auch aus demokratie- und stabilitätspolitischen Überlegungen besondere Bedeutung zu. Sie ist geradezu unabdingbar.

Eine Steuerreform muss Anreize für ein gewünschtes Verhalten bzw. für die Verhinderung unerwünschten Verhaltens setzen, Steuern müssen einer „Lenkungsfunktion“ nachkommen. Gerade angesichts multipler Krisen – Finanz-, Wirtschafts-, Energie-, Klimakrise – kommt in diesem Zusammenhang neben der Besteuerung von Vermögen auch der Ökologisierung des Steuersystems bei gleichzeitig weiterer Entlastung von Arbeit und ArbeitnehmerInnen besondere Bedeutung zu. Beides Maßnahmen, um die sozial-ökologische Transformation unseres Wirtschaftssystems auch steuerpolitisch zu unterstützen und zu forcieren.

…und Wirklichkeit

Schafft die vorliegende Reform budgetäre Spielräume für notwendige Investitionen? Die Antwort lautet schlichtweg „Nein“.

Auch der ÖGB beschränkte sich in seinem Modell auf die reine Gegenfinanzierung. Mehreinnahmen waren nicht vorgesehen. Zumindest beinhaltete das ÖGB-Konzept aber Vermögenssteuern. Die kommen in der vorliegenden SPÖ-ÖVP nur mehr rudimentär vor. Die Reform der Grunderwerbssteuer kann schon was und ist ein richtiger Schritt. Das erhoffte Aufkommen aus dem Topf „Reichensteuern“ mit geschätzten knapp 500 Mio. Euro ist allerdings vollkommen unzureichend. Nicht nur, dass keine Spielräume für notwendige Investitionen geschaffen werden. Vielmehr plant die Bundesregierung in der nicht näher ausgeführten Position „Verwaltungsreform“ eine Gegenfinanzierung im Ausmaß von 1 Mrd. Euro: 1 Mrd. Euro Ausgabedämpfungen und Förderungskürzungen seitens des Bundes und der Länder.

Was immer sich dahinter verbergen mag – es ist definitiv keine Offensivmaßnahmen bzw. „expansive“ Fiskalpolitik zur Konjunkturbelebung, sondern vielmehr das Gegenteil: die Fortsetzung des eingeschlagenen Sparkurses und der damit verbundenen Kürzungspolitik. Konkrete Maßnahmen könnten etwa die Fortführung des Aufnahmestopps im öffentlichen Dienst, weitere Nulllohnrunden, Kürzungen bei sozialen Vereinen – in der Pflege als „Effizienzsteigerung“ getarnt – oder etwa im Gesundheitsbereich sein. Damit wird allerdings auch die – ohnehin sehr optimistisch veranschlagte – Selbstfinanzierung der Steuerreform im Umfang von 850 Mio. Euro fragwürdig. Die Höhe der Selbstfinanzierung einer Steuerentlastung ist in hohem Maße von einer begleitenden Fiskalpolitik abhängig. Ist diese „expansiv“, tätigt die öffentliche Hand also Ausgaben und signalisiert damit klar politischen Willen, rezessiven Entwicklungen und Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, dann wird der Selbstfinanzierungsgrad höher liegen, als bei einem zögerlichen Verhalten der öffentlichen Hand. Der Ausfall öffentlicher Ausgaben als Folge restriktiver Budget- und Sparvorgaben kann nicht durch eine steigende private Nachfrage im Zuge einer Steuerentlastung wettgemacht werden – schon gar nicht, wenn diese so aussieht wie die vorliegende.

Leistet diese Steuerreform einen Beitrag gegen die verteilungspolitische Schieflage?

Womit wir bei der Frage wären, ob diese Steuerreform einen Beitrag zu einer Korrektur der verteilungspolitischen Schieflage leistet. Und auch diese Frage ist mit „Nein“ zu beantworten.

Die Tarifreform begünstigt absolut obere-mittlere und höhere Einkommen. Diese dürfen sich über eine jährliche Steuerersparnis von knapp 1.000 Euro (bei rund 2.500 Euro/Monat) bis 2.252 Euro (bei einem Bruttoeinkommen von 9.000/Monat) freuen. So begrüßenswert die Erhöhung der Negativsteuer mit automatischer Veranlagung auch ist: die Entlastung unterer Einkommen – die aus konjunktur- wie sozialpolitischen Gründen allerdings klar im Vordergrund stehen müsste – steht in keinem Verhältnis zu jenem hoher Einkommen. Im Gegenteil: als würde ein Schieben der Höchstbemessungsgrundlage für den (bisherigen) Spitzensteuersatz von 60.000 auf 80.000 Euro – wie im ÖGB-Konzept vorgesehen – nicht ohnehin schon ein vollkommen unnötiges Zusatzgeschenk an die SpitzenverdienerInnen sein, wird diese nun auf 90.000 Euro geschoben. Bereits im SPÖ-ÖGB-AK Tarifmodell sowie auch im ÖVP-Modell kamen zwei Drittel der Steuerentlastung Männern zu Gute. Einkommensstarken Männern. Und dabei wird es wohl auch bleiben. Von Halbe-Halbe jedenfalls keine Spur. Sah das ÖGB-AK Modell zumindest noch Vermögenssteuern vor, um Entlastungsgewinne auf diesem Wege etwas abzumildern, gibt es im vorliegenden Regierungskonzept praktisch nichts dergleichen.

Die genauen verteilungspolitischen Wirkungen der Tarifreform werden noch zu analysieren sein. Was allerdings ziemlich gesichert behauptet werden kann: Angesichts der absoluten Entlastungsgewinne ganz oben, mit einer entsprechend höheren Sparquote, wird die konjunkturelle Wirkung begrenzt sein und die Binnennachfrage keinen bedeutenden Schub erhalten. Die Steuerreform scheint in dieser Hinsicht zu verpuffen.Zu einer strukturellen Verschiebung der Steuerbelastung – von Arbeit hin zu Kapital und Vermögen – ist es schon gleich gar nicht gekommen. Es bleibt einer der Hauptkritikpunkte, dass keine Steuerstrukturreform nach einer nachvollziehenden Systematik stattgefunden hat, sondern dass eine Steuertarifreform mit zusammengestückelten, fragwürdigen und unsystematisch wirkenden Maßnahmen zur Gegenfinanzierung beschlossen wurde. Darüber kann auch die Mehrbelastung der Unternehmen unter dem Titel „Steuerbetrugsbekämpfung“ nicht hinwegtäuschen. Natürlich: Die veranschlagten (vor allem aber erhofften) rund 1,9 Mrd. aus Betrugsbekämpfung stammen überwiegend von Unternehmen. Und Steuerbetrugsbekämpfung ist natürlich auch so richtig wie wichtig. Allerdings stellt sich auch hier die Frage, ob diese Summe tatsächlich einbringbar ist. Und es bleibt nach wie vor die Quasi-Steuerfreiheit hoher Vermögen, Erbschaften, Schenkungen und Stiftungen. Damit bleibt auch die demokratie- wie stabilitätsgefährdende Vermögenskonzentration unangetastet.

Leistet diese Steuerreform einen Beitrag zu einem sozial-ökologischen Umbau?

Womit wir bei der letzten Frage wären: Ob diese Steuerreform einen Beitrag zu einem sozial-ökologischen Umbau leistet. Auch dazu ein Nein.Ökologische Komponente gibt es überhaupt keine. Wirtschaftsminister Mitterlehner betonte bereits, dass es sich nicht um eine ökosoziale Steuerreform handeln würde. Auch im ÖGB-Modell blieben ökologische Fragen vollkommen ausgeblendet. Wie sollte es auch anders sein, war eine Steuerstrukturreform doch kein Thema. Was Vermögenssteuern betrifft, wurde bereits alles gesagt. In der vorgelegten Steuerreform finden sich keine wirklichen Elemente, die eine „Lenkungsfunktion“ im Sinne eines sozial-ökologischen Umbaus beinhalten.

Nach der Reform ist vor der Reform

Aus einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung – insbesondere aus der Verteilungs- und Krisenbewältigungsperspektive – stellt die vorliegende Steuerreform eine glatte Themenverfehlung dar. Eine sozial-ökologische Steuerstrukturreform wurde zugunsten einer Lohnsteuersenkung mit weitgehend unsystematischen Gegenfinanzierungsmaßnahmen zurückgestellt. Das liegt insbesondere auch in der Verantwortung von Gewerkschaften und Arbeiterkammern. Spielräume für notwendige, beschäftigungswirksame Investitionen wurden keine geschaffen, mehr Steuergerechtigkeit, insbesondere zwischen Arbeit und Kapital, nicht hergestellt. Ein schwerer Fehler. In Anbetracht optimistischer Schätzungen und einer vielfach fehlenden Konkretisierung drohen in Konsequenz vielmehr weitere Sparpakete, die zulasten von ArbeitnehmerInnen, marginalisierten Gruppen und der Beschäftigung gehen. Der Kampf um Vermögenssteuern, mehr Steuergerechtigkeit und ein Steuersystem, das die sozial-ökologische Transformation befördert statt behindert, muss daher weitergehen. Gerade jetzt. Mehr solche „Siege“ können wir uns nämlich nicht mehr leisten. Es gilt: nach der Reform ist vor der Reform.

Markus Koza ist Ökonom und Vorsitzender der UG – Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB.

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