Der Kampf der Sámi um einen lebenswichtigen Fluss

Alle reden über Standing Rock, aber kaum jemand weiß, dass es auch in Europa indigene Völker gibt. Die Sámi leben im hohen Norden des Kontinents und kämpfen gerade um den Zugang zu einem für sie lebenswichtigen Fluss. Was ist mehr wert: Der industrielle Fischfang oder die Kultur und Subsistenz eines indigenen Volkes?

Die Situation indigener Völker und ihre Kämpfe für Land, Luft, Wasser und ihre Rechte sind inzwischen im Bewusstsein der Menschen in Europa angekommen. Indigene Bewegungen haben sich diese Aufmerksamkeit erkämpft – durch Proteste und Schutzcamps, wie dem der Standing Rock Sioux in den USA, oder gegen den Belo Monte Staudamm in Brasilien. In Anbetracht dessen ist es verwunderlich, um nicht zu sagen beschämend, dass kaum jemand von der Existenz eines indigenen Volkes und ihren Lebensumständen in Europa Bescheid weiß.

Wer sind die Sámi?

Doch es gibt sie noch – die Sámi oder Samen, oftmals verächtlich Lappen genannt, die hoch im Norden Europas leben. Sie wohnen in Sápmi, auch als Lappland bekannt, das sich großteils nördlich des Nordpolarkreises befindet und über Norwegen, Schweden, Finnland und die russische Kola-Halbinsel erstreckt. Die Zahl der Sámi wird meist auf knapp über 100.000 geschätzt, genau weiß man es nicht. Sie leben teils in Städten, teils in Dörfern. Dort üben sie noch immer ihre traditionellen Lebensweisen wie halb-nomadische Rentierzucht oder Lachsfang aus.

Die Geschichte der Sámi weist große Parallelen zu der anderer indigener Völker auf. Sie wurden  von Europäer*innen kolonialisiert, die durch Tötung, Sterilisation, Assimilation oder zwangsweise Wegnahme indigener Kinder versuchten, die indigene Bevölkerung und ihre Kultur auszurotten. Erst in den 1970er und -80er Jahren erhielten die wenigen überlebenden Sámi schließlich etwas von ihrer Mündigkeit zurück. Sie wurden von den Staaten als indigenes Volk anerkannt und wählen ihre eigenen nationalen Parlamente.

Der Kampf um Fluss und Fischfang

Doch auch heute ist die Situation der Sámi alles andere als rosig. Indigene Völker erhalten zwar seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf internationaler Ebene mehr Rechte und Unterstützung. Doch auf nationaler Ebene werden diese meist weiterhin ignoriert, wie das jüngste Beispiel aus Norwegen und Finnland zeigt. Erst Mitte März stimmte das finnische Parlament einem Gesetzesentwurf zu, der die Nutzung des Grenzflusses Tana/Teno (Deatnu auf Samisch) zwischen Finnland und Norwegen neu regulieren soll. Die finnische Regierung behauptet, damit die Situation des atlantischen Lachses im Tana –  einem der besten Lachsflüsse Europas – zu verbessern, und den Fischfang nachhaltiger zu gestalten.

Doch die Sámi sehen das anders. Das Gesetz würde den Zugang der Sámi zu ihrem „großen Fluss“ stark einschränken. Bisher dürfen die Sámi laut finnischem Recht und aufgrund ihrer langjährigen Nutzung über den Fluss bestimmen. Sie fürchten, dass das neue Gesetz ihre Rechte auf traditionellen Fischfang und die Ausübung ihrer Kultur aushebelt. Tiina Sanila-Aikio, Präsidentin des finnischen Sámi-Parlaments sieht dadurch „das Fortbestehen ihrer traditionellen Lebensweise bedroht“. So soll unter anderem den Sámi, die nicht mehr permanent im Flusstal leben, das Recht zu Fischen gänzlich verwehrt werden. Gleichzeitig erhalten nicht-indigene Sommerhaus-Besitzer*innen zusätzliche Rechte auf Fischfang. Des Weiteren kritisieren die Sámi, dass die finnische Regierung sie nicht wie rechtlich vorgesehen in die Verhandlungen einbezogen hat. Das finnische Sámi-Parlament hat daher beim Justizministerium eine Beschwerde gegen die Vorgehensweise eingereicht.

Eine Bedrohung der Sámi-Kultur

Die Kultur und Spiritualität der Sámi ist, wie bei vielen indigenen Völkern, untrennbar mit ihrem Fluss verwoben und geht weit über den materiellen Aspekt des Fischfangs hinaus. So entwickelte sich die Lebensweise der Fluss-Sámi von jeher in Harmonie und Abstimmung mit ihrem Lachsfluss. Für viele Sámi stellt der Gesetzesentwurf daher einen eindeutigen Verstoß gegen ihr international anerkanntes Recht auf Kultur dar.

Sámi-Aktivist Áslat Holmberg, Anfang März beim Elevate Festival in Graz zu Besuch, bezeichnet die Vorgehensweise Finnlands in einem Hilferuf-Video als „Diebstahl am helllichten Tage und Verweigerung des Rechtes auf Kultur, sowie auf Selbstbestimmung und Konsultation“. Laut Holmberg sind die Regierungen Finnlands und Norwegens bereit, die samische Lachsfischtradition zu beenden. Sie behaupten, den Lachs vor den Sámi zu schützen, die angeblich zu wenig über die Fische und nachhaltigen Fischfang wüssten. Das ist mehr als zynisch. Der Lachs war nicht nur einer der ausschlaggebenden Gründe für die indigene Besiedelung des Tanatals, die Sámi sind als Nahrungsquelle auf ihn angewiesen. Auch sind es die Sámi, die seit vielen Jahrzehnten gegen industrielle Lachs-Aquakulturen kämpfen, um den Wildlachs zu schützen.

Widerstand und Solidarität

Finnland und Norwegen haben nichtsdestotrotz den Gesetzesentwurf angenommen. Für Áslat Holmberg und das finnische Sámi Parlament ist daher jetzt Widerstand und internationale Bewusstseinsbildung und Solidarität von höchster Bedeutung. Andere europäische Länder müssen Druck auf Norwegen und Finnland ausüben, damit diese nicht weiter unter dem Deckmantel der demokratischen Fortschrittlichkeit die Rechte ihrer indigenen Bevölkerung missachten können.

Angelika Kobl studiert Global Studies in Graz und beschäftigt sich unter anderem mit (Land-) Rechten indigener Völker. So schreibt sie ihre Masterarbeit über indigene Widerstandsbewegungen und Landrechte in Britisch Kolumbien.

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