Peter Pilz: Die Heimat, die er meint

In „Heimat Österreich. Ein Aufruf zur Selbstverteidigung“ wird die politische Vision hinter der „Liste Pilz“ dargelegt. Schon vorab gab es viel Kritik daran. mosaik-Redakteur Benjamin Opratko hat das neue Buch von Peter Pilz gelesen und sich selbst eine Meinung gebildet.

Schon im Juli kritisierten Mosaik-Kollege Martin Konecny und ich Pilz dafür, dass er sich die Argumente rassistischer „IslamkritikerInnen“ zu eigen macht. Das stieß in vielen Kommentaren auf harsche Kritik. Viele meinten, wir sollten doch erst einmal ein konkretes Programm abwarten.

Ein Programm gibt es bis heute nicht, dafür hat Peter Pilz inzwischen seine Vision in einem Büchlein dargelegt. Schon Titel und Einband – „Heimat Österreich. Ein Aufruf zur Selbstverteidigung“ in rot-weiß-rotem Alpenpanorama – waren nicht angetan, unsere Befürchtungen zu entkräften. Aber wie heißt es so schön: Um ein Buch zu loben, muss man es nicht einmal aufgeschlagen haben. Um es zu kritisieren, sollte man es aber aufmerksam lesen. Also habe ich genau das getan.

Geschichten aus der Heimat

Um es vorweg zu sagen: Vergnügungssteuerpflichtig ist die Lektüre nicht. Wie Richard Schuberth jüngst bemerkt hat, liest sich Pilzens Buch wie eine 137 Seiten starke Bewerbungsmappe beim österreichischen Volk. Peter Pilz präsentiert sich in etwa zwei Drittel des Buchs als furchtlosen Aufdecker in Sachen Eurofighter und AKP-Spionage.

Rund um die Heldentaten des wackeren Parlamentariers spinnt Pilz die Geschichte von der Heimat. Die geht in etwa so: Unsere Heimat ist die beste aller Welten. Sie ist aber nicht mehr das, was sie mal war, wird von innen und außen bedroht, muss deshalb beschützt und zu alter Größe zurückgeführt werden. Und zwar von – erraten – Peter Pilz.

I wü ham nach Kapfenberg

Wo liegt die Heimat, die Pilz verteidigen will? Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Im Titel geht es um die „Heimat Österreich“. Doch immer wieder ist es nicht das kleine Österreich, sondern das große Europa, „die Heimat von Menschenrechten und Bürgerrechten “(S. 14), die verteidigt werden muss.

An anderer Stelle wiederum schrumpft die Heimat auf Gemeindegrenzen zusammen. Dann wird die Heimat zu Kapfenberg. Pilz ist in der obersteirischen Kleinstadt aufgewachsen und erinnert sich an die „Zuversicht“, die dort in den 1960er Jahren geherrscht hätte: „Das Leben wurde besser, auf der ganzen Welt, aber vor allem in Kapfenberg“ (S. 17). Bescheidener Wohlstand und „unaufhaltsamer Fortschritt“, ermöglicht durch die Stahlwerke der Firma Böhler, hätten Kapfenberg zum Nachkriegsparadies gemacht: „Es wurde viel gefeiert und getanzt“ (S. 18). Doch wenn er heute nach Hause fahre, komme Peter Pilz „in einer anderen Stadt an. Sicher, es wird wieder besser. Aber es ist nicht mehr so gut“. (S. 19).

Mythos Heimat

Die nostalgische Verklärung des industriellen Aufschwungs der 1960er Jahre funktioniert aber nur durch Verdrängung. Pilz erwähnt natürlich die GastarbeiterInnen nicht, die auch in Kapfenberg die härtesten und undankbarsten Arbeiten übernommen hatten.

Kein Wort auch darüber, dass in seiner „Böhlerstadt“ Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes nicht arbeiten durften. Die Mischung aus „Sicherheit und Zuversicht“, an die Pilz sich erinnert, war das Privileg einer Minderheit. Seine Sehnsucht nach Kapfenberg ist wie die Darstellung Europas vor allem eines: Ein glänzender Mythos, in dem sich Seinesgleichen sonnen.

Alles Gute ist Unser

Dass Heimat kein Ort, sondern ein Gefühl ist, ist nicht ungewöhnlich. Zum Problem wird das Heimatgefühl jedoch, wenn es von jeder Ambivalenz gesäubert und politisch eingesetzt wird. Dann wird die heimatliche Geborgenheit zum chauvinistischen Taumel, in dem alles Gute zu uns gehört, alles Böse den anderen zugeschrieben wird. Europa ist dann eben nur noch Heimat der Menschenrechte und Demokratie.

Dass es ebenso Heimat des Faschismus und des Kolonialismus ist, darf dann nicht erwähnt werden. Menschenrechte dienen in dieser Geschichte zur Abgrenzung von anderen. Dass etwa das Menschenrechte auf Asyl heute faktisch außer Kraft gesetzt wird und die Demokratie jene Millionen ausschließt, die hier leben und arbeiten, aber nicht wählen dürfen, wird verschwiegen.

Das Recht auf Gleichberechtigung wird in dieser Erzählung von etwas, das es durchzusetzen gilt, zu etwas das dazu dient den „anderen“ ihr Recht auf ein Leben in Österreich zu nehmen: „Die Grundsätze unserer Kultur sind die Rechte und Pflichten. Das Recht auf Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern begründet auch die Pflicht, die Rechte der Frauen zu respektieren. Wer das nicht will, kann wieder gehen.“ (S. 85, Herv. B.O.). Als wäre Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie etwas, das es nur außerhalb „unserer“ Kultur gäbe. Die Geschichte des Landes und des Kontinents wird reingewaschen, um sich mit den eigenen Anteilen an Gewalt, Ausschluss und Leid nicht beschäftigen zu müssen. Alles Böse kommt von außen. Alles Gute ist Unser.

Viel Islam, kein Rechtsextremismus

Dieses Böse, das unsere Heimat – Österreich, Europa, Kapfenberg – nun bedroht hat laut Pilz zwei Seiten: Den Rechtsextremismus und den politischen Islam. Bloß über den Rechtsextremismus steht in dem Buch rein gar nichts. Im Kapitel „Der Angriff auf Europa“ geht es ausschließlich um Spitzeltätigkeiten durch AKP-FunktionärInnen.

Die Machenschaften türkischer Regierungsvertreter sind zweifellos ein Problem. Zum „Angriff im Namen einer Religion“, der „Europa gefährden könnte“ reicht es aber lange nicht. Pilz schließt das Kapitel mit einem suggestiven Raunen: „So funktioniert Erdoğans islamisches Spitzelsystem in Österreich. Gestern bei den Kurden, heute bei Gülen-Anhängern, morgen …“ (S. 63).

Dieser Satz ist charakteristisch für das Vorgehen von Peter Pilz. Er mischt tatsächliche Herausforderungen (Überwachung und Repression durch AKP-AnhängerInnen gegen türkische und kurdische Oppositionelle) mit unhaltbaren Verallgemeinerungen („Der politische Islam bedroht Europa“) und diffuser Angstmache (Wer ist morgen dran? Müssen wir alle Angst haben, ins Visier der AKP zu gelangen?).

Wer bedroht wen?

Man muss es in aller Deutlichkeit aussprechen. Wer heute behauptet, der organisierte politische Islam sei in Österreich eine größere Gefahr als der Rechtsextremismus, dem fehlt jede Verhältnismäßigkeit. Der organisierte Rechtsextremismus steht durch seine Partei, die FPÖ, unmittelbar vor der Übernahme der Regierungsmacht. Der „politische Islam“ vom Schlage der AKP oder der Muslimbruderschaft ist ein isoliertes und gesellschaftlich geächtetes Projekt.

Das macht diese Gruppen nicht weniger reaktionär. Es mindert auch nicht das Leid jener, die der Repression durch AKP-Schergen ausgesetzt sind – vor allem kurdische und türkische Oppositionelle, darunter auch selbst Anhänger eines „politischen Islam“ (wie im Fall der Gülen-Bewegung). Doch wer daraus die „größte Gefahr für Österreich“ (S. 76) konstruiert, macht dies nicht aus Sorge um den Schutz der Betroffenen, sondern aus politischem Kalkül.

Fremd im eigenen Land

Dieses politische Kalkül wird von Pilz selbst an anderer Stelle ausgesprochen. Er will mit seiner Liste um die Stimmen von „Protestwählern“ buhlen. Das sind für Pilz alle, die den etablierten Parteien nicht mehr zutrauen, für ihre Sicherheit zu sorgen: „Die Ängste der Protestwähler sind oft diffus. Aber ihre Probleme sind in der Regel konkret. […] Ihre Fragen kreisen um einen einzigen Begriff: Sicherheit. Vor Arbeitslosigkeit; vor Wohnungsnot; vor Schulden und Armut; vor sozialem Abstieg; vor Kriminalität; und vor ‚Fremden’, davor, eine ‚Minderheit’ im eigenen Land zu werden“ (S. 87).

Aus dieser Formulierung lässt sich der strategische Kern des Projekts „Liste Pilz“ ablesen. Ziel ist es, die Stimmen der Unzufriedenen und Verunsicherten zu sammeln. Die Gründe für die Unzufriedenheit werden alle gleichgesetzt. Ob jemand Angst vor Arbeitslosigkeit hat oder vor „Fremden“, vor Wohnungsnot oder davor, „eine Minderheit im eigenen Land zu werden“ ist ihm das Gleiche.

Dabei ist an der Angst vor „Fremden“ überhaupt nichts „konkret.“ Pilz kann oder will nicht unterscheiden zwischen Sorge und Ressentiment. Und er macht zugleich klar, an wen er sich nicht wendet: Jene, die selbst als „Fremde“ wahrgenommen werden, jene, die wissen wie es ist, einer Minderheit anzugehören, haben in seinem Projekt nichts zu suchen.

Ist Pilz ein Rassist?

Ist Peter Pilz also ein Rassist? Die Frage ist falsch gestellt. Rassismus ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Logik, die unsere Gesellschaften durchzieht. Rassismus fasst Menschen zu Gruppen zusammen und weist ihnen unterschiedliche Plätze zu: Arbeitsplätze, Wohnbezirke, Einkommen, Lebenschancen. Er beruht auf einer simplen Operation: Wer gehört dazu und wer nicht? Wer ist selbstverständlich Teil eines „Wir“ und wer muss immer wieder aufs Neue beweisen, dazuzugehören?

In Österreich wird diese Spaltungslinie seit vielen Jahren besonders scharf entlang der Linie „Islam“ gezogen. MuslimInnen sind nicht erst seit der Flüchtlingsbewegung von 2015 mit einer Kultur des Misstrauens konfrontiert, sind Ziel rassistischer Kampagnen und alltäglicher Gewalt. Doch zum Rassismus gegen MuslimInnen hat Peter Pilz in seinem gesamten Buch nur drei Sätze zu sagen: „Manche Kritiker des politischen Islam glauben, sich gegenüber dem Vorwurf der ‚Islamophobie’ rechtfertigen zu müssen. Ich finde ihn lächerlich. Und nicht mehr“ (S. 85). Das ist beschämend – und vielsagend.

Peter Pilz ruft in seinem Buch ganz bewusst Figuren auf, die von der rassistischen Rechten mobilisiert werden – „der arbeitsscheue Flüchtling“ (S. 84)., „der vergewaltigende Ausländer“ (S. 101) – um damit seine Geschichte vom bedrohten Österreich zu bevölkern.

Er trägt mit seinem Buch und mit seiner Kandidatur nicht dazu bei, der rassistischen Spaltung unserer Gesellschaft etwas entgegen zu stellen. Er bestärkt und vertieft sie. Deshalb ist er keine Antwort auf den Rechtsrutsch unserer Gesellschaft. Und deshalb bleibe ich dabei: Peter Pilz ist keine Alternative.

 

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