Öffentliche Überwachung: Schutz oder Bedrohung?

Es ist wieder einmal so weit. Irgendetwas hat den burgenländischen Landeshauptmann so sehr beunruhigt, dass er sich selbst als Ruck-Zuck-Problemlöser und einen Vorschlag zur Verbrechensbekämpfung präsentieren musste. Wohl gemerkt, die Kriminalitätsrate konnte es nicht sein, die die Nervosität hervorgerufen hatte. Die ist nämlich im Burgenland in den letzten Jahren gesunken. Aber egal, Mann braucht Sicherheit und darauf gibt es für besagten Mann offenbar nur eine Antwort: Überwachung.

Nun könnte ich diesen Kontrollreflex nicht allzu ernst nehmen und humorvoll kommentieren. Aber das geht nicht, denn die Sache ist ernst, sehr ernst. Für Vorschläge dieser Art sollte vor jeglicher Veröffentlichung gelten: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Datenschützer oder Wirkungsforscherinnen.“

Was ist das Problem?

Überwachungsaktivitäten können zwar der Sicherheit dienen und nützlich sein, aber übermäßige, unkontrollierte und reflexartige Überwachung birgt Risiken in sich, die nicht nur die Privatsphäre, sondern das gesellschaftliche Gefüge und die Kommunikation im öffentlichen Raum beeinträchtigen. Was vordergründig dem Schutz der Menschen dient, bedroht zugleich deren Persönlichkeitsrechte. Denn alles, was im öffentlichen Raum geschieht, wird kontrollierbar. Überwacht wird durch eine anonyme Institution, die ihrerseits nicht unter Kontrolle der Öffentlichkeit steht. Dies hat nicht nur Auswirkung auf die unter Beobachtung stehenden Einzelpersonen, es hat auch massive Auswirkungen auf das Leben einer Gesellschaft. Menschen, die sich permanent überwacht wissen, schränken sich in ihren öffentlichen Aktivitäten nach und nach ein. Und das betrifft auch und vor allem die nicht-kriminellen Tätigkeiten. Es kommt zu einer schleichenden Einschränkung der Meinungsäußerung. Die Angst, sich nicht korrekt zu verhalten und daraus einen Nachteil zu erleiden, verdrängt Kreativität, Spontanität und kritische Äußerungen. Misstrauen breitet sich aus, wenn jede öffentliche Bewegung unter Beobachtung steht und man nicht weiß, wer das sieht und Zugang zu den gespeicherten Bildern hat. Die Dynamik liegt auf der Hand: Menschen geraten dadurch in Angst und Alarmbereitschaft. Und zwar alle. Das ist eindeutig nicht gesund, weder individuell noch gesellschaftlich.

Gesellschaftspolitisch kommt es nach und nach zu einer Einzementierung von Machtverhältnissen: Die, die „oben“ sind, schauen auf die, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, herunter. Warum nur kommen die brutalsten Überwachungsfantasien immer von jenen, die ohnehin schon die größte Macht über andere haben? Kontrolle konzentriert sich und die Gefahr des Machtmissbrauchs ist evident.

Macht Überwachung eine Gesellschaft sicherer?

Zurück zum burgenländischen Auslöser der aktuellen Debatte: Mit dem Argument der angeblich höheren Sicherheit würde jedes Auto, das eine Ortseinfahrt passiert, gefilmt und das Bild würde elektronisch gespeichert. Welche Dynamik wird damit ausgelöst? Wird es eine pauschale Verdächtigung von AutofahrerInnen mit ungarischem Kennzeichen geben, wenn ein Diebstahl in einem Ort gemeldet wird? Werden Gemeinden die nächtlichen Bewegungen über die Ortsgrenzen beobachten? Wird eine Region dadurch sicherer?

Die Erfahrungen, die in England mit verstärkter Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen gemacht wurden, geben ein eindeutiges Bild ab. Die allgemeine Kriminalitätsrate hat sich nicht verändert, die Verbrechen wanderten weiter in nicht überwachte Gebiete. Kriminalität verdichtet sich also außerhalb der überwachten Zonen.

Big Brother ist teuer

Was mich ja immer wieder verblüfft, ist die Tatsache, dass finanzielle Leistbarkeit bei jeder Diskussion um Erhöhung von Bildungs- oder Sozialstandards als Gegenargument herhalten muss, bei Fragen der Kontrolle die Geldsäcke aber scheinbar unerschöpflich voll sind. Dabei sind die wirtschaftlichen Folgen eines Überwachungsapparates immens und kaum überschaubar. All das Gerät kostet viel Geld und erzeugt Infrastrukturkosten, MitarbeiterInnen müssen eingestellt werden, die den Überwachungsapparat in Gang halten, es braucht EntwicklerInnen, TechnikerInnen, ProjektmanagerInnen und KommunikatorInnen. Dann müssen die Daten ja noch irgendwo gespeichert und analysiert werden. Ich denke, es täte einer Gesellschaft besser an, stattdessen in PädagogInnen, SozialarbeiterInnen und PflegerInnen zu investieren.

Was soll öffentlicher Raum für eine Gesellschaft leisten?

Die Frage, die bleibt, ist: Was soll öffentlicher Raum für die Gesellschaft leisten? Für mich ist er Raum für Begegnung, für (politische) Meinungsäußerung, für gemeinsames Feiern, Einkaufen, Verweilen und Kommunizieren. Mit zunehmender Überwachung wird sich der öffentliche Raum zu einem Ort entwickeln, der einerseits für Tätigkeiten genutzt wird, die von den Überwachenden gewollt oder geduldet sind und andererseits wird er zum Übergangsort zwischen privaten und abgeschlossenen beruflichen Welten. Das wäre für mich eine traurige Aussicht. Denn der öffentliche Raum ist der Puls einer Gesellschaft. Aber das ist eine andere Geschichte…

Regina Petrik ist Erziehungswissenschafterin und pädagogische Beraterin. Außerdem ist sie Landessprecherin der Grünen Burgenland. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Bildung, Soziales, Frauen, Ökologie und Menschenrechte.

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