Migrationsstrategie der EU-Kommission: Feigenblattpolitik statt Lösungen

Knapp 1000 Tote im Mittelmeer alleine in diesem Jahr zwingen die EU-Kommission zum Handeln. Sie hat vor einigen Tagen ihren neuen Migrationsplan vorgestellt. Doch bringt der tatsächlich eine Wende in der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik? Das darf bezweifelt werden.

Alle angekündigten Maßnahmen laufen unter Artikel 78(3) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Darin heißt es: „Befinden sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedstaaten erlassen.“ Von einer substanziellen Änderung der Flüchtlingspolitik kann hier also nicht die Rede sein – vielmehr wird der Wunsch von Menschen, nach Europa zu flüchten, als europäische Notlage abgetan. Migration wird in erster Linie als ein sicherheits- und außenpolitisches Thema gesehen, von Humanismus keine Spur.

Legale Fluchtwege? Fehlanzeige

Statt auf legale Fluchtwege zu setzen, wird der Grenzschutz verstärkt. Zwar werden die Mittel für die Frontex-Operationen Triton und Poseidon (ähnliche Operation auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos und Leros) verdreifacht, doch nach wie vor ist es Hauptaufgabe von Frontex, die europäische Außengrenze abzusichern. Menschenleben zu retten, wie es im Programm Mare Nostrum vorgesehen war, zählt nicht zu den klar festgehaltenen Aufgaben. Gerade das Fehlen von legalen Einreisemöglichkeiten zwingt immer mehr Menschen, die Überfahrt übers Mittelmeer zu riskieren. Die immer wieder geforderten legalen Einreisekorridore werden nicht einmal als Fußnote erwähnt.

Nur das Ende der Dublin-Verordnung sorgt für Solidarität

Zwar sieht der Kommissionsplan eine verpflichtende Quote zur Aufteilung der AsylwerberInnen auf Europa vor, das bedeutet aber noch lange nicht ein Ende der Dublin-Verordnung. Vorerst sollen in einer Art Testlauf 20.000 Personen mit Hilfe eines Resettlement-Programmes auf die Mitgliedsstaaten der EU aufgeteilt werden. Doch nicht einmal diese geringe Zahl von Menschen ist überall in Europa willkommen: Großbritannien hat, genauso wie Dänemark und Irland, schon Widerstand angekündigt. Die britische Innenministerin forderte sogar, Boote wieder nach Afrika zurückzuschleppen (Push-Back), was einen klaren Rechtsbruch darstellen würde. Österreich würde nach diesem Schlüssel lediglich 444 Menschen aufnehmen müssen. Für die Resettlements sollen heuer und 2016 insgesamt 50 Millionen Euro aufgewendet werden.

Bomben auf Boote?

Da es angesichts der großen Zahl von toten Menschen moralisch nicht mehr vertretbar ist, gegen Flüchtlinge Stimmung zu machen, muss nun ein neues Feindbild her. Das wurde schnell gefunden: Nun sind es Schlepper, die an Flüchtenden Millionen verdienen, brutal gegen sie vorgehen und Notsituationen ausnutzen. Für Federica Mogherini, die Außenbeauftragte der EU, sind Schlepper sogar für die Finanzierung des internationalen Terrorismus zuständig.

Der Kommissionsvorschlag greift das natürlich auf: Ein wesentlicher Teil der neuen Migrationsagenda ist die Enttarnung und Aushebung von „kriminellen Menschenschmugglernetzwerken“, wie der EU-Kommissar für Migration Dimitris Avramopoulos auf einer Pressekonferenz sagt.

Was hierbei völlig außer Acht gelassen wird: Wie nahezu jede Dienstleistung orientieren sich auch Schlepper an der Nachfrage. Durch die komplette Abschottung der europäischen Außengrenzen gibt es für viele Menschen schlicht keine legale Möglichkeit mehr, nach Europa einzureisen, um dort Asyl zu beantragen. Wenn also jetzt die EU auf ein UN-Mandat zur militärischen Intervention an Libyens Küste hofft, ist das mehr als nur zynisch. Mit Bomben gegen die oft einzige Fluchtmöglichkeit jener Menschen kämpfen, die vor Bomben flüchten – diese Union hat den Friedensnobelpreis nicht verdient.

Fazit: Die Migrationsstrategie der EU-Kommission ist nichts anderes als ein Feigenblatt, das vom eigenen Versagen ablenken soll.

Die wesentlichen Probleme werden nicht angegangen, statt menschenwürdiger Asylpolitik herrscht Law and Order. Weder wird über ein Ende der Dublin-Verordnung geredet, noch wird die Hauptursache für illegale Einreise – das Fehlen legaler Wege – behoben. Die katastrophalen Zustände der Asylunterbringung in Griechenland, Ungarn oder Bulgarien wird nicht erwähnt, Asylanträge außerhalb der Europäischen Union werden nach wie vor kategorisch ausgeschlossen. Dieser Vorschlag ist somit mit einem eindeutigen „Nicht genügend“ zu bewerten.

Michael Mayer ist seit vielen Jahren (jugend)politisch aktiv und arbeitet zurzeit in der politmedialen Blase in Brüssel.

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