Kleinbäuer_innen unter Druck

Am 17. April ist der internationale Tag des kleinbäuerlichen Widerstands. Weltweit gedenken Kleinbäuer_innen und ihre Verbündeten der brutalen Ermordung von 19 Aktivist_innen der brasilianischen Landlosenbewegung MST durch Polizeikräfte im Jahr 1996. Gleichzeitig machen sie auf die prekäre Situation kleinbäuerlicher Landwirtschaft aufmerksam. Auch in Österreich werden kleine und mittlere Betriebe immer mehr ins Abseits gedrängt. Das Dreigespann aus Bauernbund, Landwirtschaftskammern und Raiffeisen spielt dabei eine wesentliche Rolle.

In ihrem „Schwarzbuch Raiffeisen“ führen Lutz Holzinger und Clemens Staudinger die enge Kooperation von Bauernbund, Raiffeisengenossenschaften und Landwirtschaftskammern auf Engelbert Dollfuß zurück. Dieser war niederösterreichischer Landwirtschaftskammeramtsdirektor, bevor er später zum Bundeskanzler und Diktator avancierte. Das von den Autoren als „Dreifaltigkeit“ bezeichnete Machtkonglomerat vereint die politische (Bauernbund), ständische (Kammer) und wirtschaftliche (Genossenschaften) Interessensvertretung einer Minderheit von Bäuer_innen, die allerdings vorgibt, diese in ihrer Gesamtheit zu vertreten. Raiffeisen, die Kammern und der Bauernbund fungieren als „kommunizierende Gefäße“ und üben mithilfe undurchschaubarer gegenseitiger Verflechtungen sowie Personalrochaden enormen Einfluss auf Gesetzgebung, Verwaltung sowie Landes- und Bundesregierungen aus. Begünstigt werden diese Seilschaften durch die männerbündische Struktur des gesamten Agrarsektors – die Mitgliedschaft im Cartellverband und der Besitz eines Jagdscheines sind durchaus förderlich.

Wachsen oder Weichen

Der Strukturwandel in der österreichischen Landwirtschaft ist ein seit Jahrzehnten zu beobachtendes Phänomen. Er ist selbstverständlich kein Alleinstellungsmerkmal der Landwirtschaft und wie in anderen Sektoren kein „natürlicher“ Prozess, sondern Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise. Seit dem EU-Beitritt hat sich die Anzahl der Betriebe um 30 Prozent verringert. Besonders getroffen hat es dabei die kleinbäuerliche Landwirtschaft– insbesondere in den Gunstlagen Österreichs – sowie die Viehhaltung. Zwei Drittel aller Betriebsaufgaben seit dem EU-Beitritt erfolgten durch Betriebe unter 10 Hektar – das waren über 45.000 Höfe. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Betriebe über 50 Hektar um mehr als 25.000. Wirtschafteten 1995 noch 90.700 Milchviehhalter, so sind es aktuell nur mehr knapp 40.000.

Die österreichische Agrarpolitik klopft sich in Sonntagsreden gern auf die Schulter und betont die kleinen Strukturen und die nachhaltige Wirtschaftsweise der österreichischen Landwirtschaft. Andererseits hat sie seit Jahrzehnten ein Doppelspiel betrieben und den Strukturwandel gleichzeitig befördert und abgefedert. Die Kopplung der EU-Förderungen ist zum Großteil an die Fläche gebunden und berücksichtigt nicht, dass der Aufwand pro Hektar mit zunehmender Fläche geringer wird. Das laufend höher dotierte Budget für Investitionen, die die Mechanisierung, Produktionsausweitung und Rationalisierung unterstützen, trägt zu den Konzentrations- und Verdrängungsprozessen bei. Mit Zahlungen wie dem Bergbauernzuschuss wird andererseits versucht, die Weiterbewirtschaftung in Ungunstlagen zu unterstützen.

Export statt Nachhaltigkeit

Die Produktivität zu steigern und möglichst viel zu exportieren sind die realpolitisch angestrebten Ziele der politischen, berufsständischen und genossenschaftlichen Agrarvertretung. 1995 wurden beispielweise Lebensmittel und Getränke im Wert von zirka 1,8 Milliarden Euro ausgeführt, 2013 waren es 9,5 Milliarden Euro. Diese Entwicklung soll fortgesetzt und neue Märkte (z.B. in China) erschlossen werden. Um gleichzeitig die seit dem EU-Beitritt exorbitant angestiegenen Agrarbudgets vor den Steuerzahler_innen und insbesondere angesichts von Austeritätspolitiken zu rechtfertigen, bedient sich die Agrarpolitik eines ausgeklügelten Mechanismus: Die Notwendigkeit von Fördergeldern wird mit der kleinstrukturierten, nachhaltig wirtschaftenden und im europäischen Vergleich nicht wettbewerbsfähigen Landwirtschaft begründet. De facto fließt ein Großteil der Fördergelder jedoch an zunehmend agrarindustriell ausgerichtete Betriebe und unterstützt damit die Verdrängung der zu Legitimationszwecken vorgeschobenen kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Durch den EU-Beitritt ist es der „Agrarelite“ zudem gelungen, die Verantwortung für Maßnahmen, die Bäuer_innen als nachteilig empfinden, beinahe zur Gänze auf Brüssel abzuschieben, obwohl die Gemeinsame Agrarpolitik der EU den Mitgliedsstaaten beträchtliche nationale Spielräume gewährt.

Beispiel Milch – nichts geht ohne Raiffeisen

Der Milchsektor veranschaulicht die Entwicklung und Arbeitsweise des ehemaligen bäuerlichen Selbsthilfevereins und seiner Partner Landwirtschaftskammer und Bauernbund auf deutliche Art und Weise. Berglandmilch und die NÖM, die beiden größten Player auf dem österreichischen Milchmarkt, sind zwar offiziell voneinander unabhängig, wirtschaften aber beide unter Raiffeisenhoheit und teilen den Milchmarkt oligopolistisch untereinander auf. Raiffeisen beherrscht laut eigenen Angaben den Frischmilchmarkt mit 98 Prozent Marktanteil und übernimmt 95 Prozent der angelieferten Milch. Die Raiffeisengenossenschaften können somit eine gewisse Gestaltungsmöglichkeit des Produzentenpreises nicht abstreiten. Die in den zahlreichen Raiffeisengesellschaften und Tochterunternehmen beschäftigten Bauernbundfunktionäre beklagen dennoch die Marktmacht der Handelsketten in Österreich. Die Milchbäuer_innen wiederum, die ja als Genossenschafter_innen über die Unternehmenspolitik entscheiden sollten, werden gegeneinander ausgespielt: Die Molkereien zahlen Staffelpreise für die angelieferte Milchmenge bei den Molkereien; wer kleinere Mengen liefert, muss für die Abholung extra bezahlen (oder muss die Milch an eine Sammelstelle bringen), während größere Liefermengen mit einem Bonus belohnt werden.

Wir haben es satt!

Die außerparlamentarische Agraropposition versucht seit Jahrzehnten die Vorherrschaft der „Dreifaltigkeit“ herauszufordern und eine Kehrtwende der österreichischen Agrarpolitik einzuleiten. Organisationen wie die IG Milch, die ÖBV-Via Campesina oder AgrarAttac sowie zahlreiche Verbündete aus dem entwicklungspolitischen und umweltpolitischen Bereich engagierten sich z.B. im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, um einen Paradigmenwechsel weg von Freihandelsdoktrin und Wettbewerbsfähigkeit hin zu Ernährungssouveränität und nachhaltiger Lebensmittelproduktion zu erreichen. Wenngleich das zivilgesellschaftliche Interesse an Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion stetig wächst, ist eine radikale Wende kurzfristig nicht zu erwarten. Die Hegemonie der ÖVP im Agrarbereich kann nur beendet werden, wenn die SPÖ ihr Desinteresse an landwirtschaftlichen Agenden aufgibt und gleichzeitig der zivilgesellschaftliche Druck groß genug wird.

Irmi Salzer war langjährige Referentin für Öffentlichkeitsarbeit der ÖBV-Via Campesina Austria. Sie engagiert sich für kleinbäuerliche Landwirtschaft und Ernährungssouveränität und ist Aktivistin der Plattform „TTIP stoppen“.

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