mosaik-Krisenherd I: Parmigiana alla Crisi

Essen in der Krise: Die Krise ist vielfältig und so sind die Gerichte, welche Krisenbetroffene trotz prekärer Situation auf den Tisch zaubern. Unsere neue Reihe „Krisenherd“ versucht, die Auswirkungen auf das alltägliche Leben, das Ess- und Kochverhalten von konkreten Krisenbetroffenen aufzuzeigen. Den Anfang macht Ako Pire, der mit Anto Parmigiana alla Crisi kocht. 

Anto kommt aus dem wenig beschaulichen süditalienischen Rosarno. Eine kalabresische Kleinstadt, die abgesehen von einer Unzahl an Mafiamorden auch durch Pogrome an afrikanischen ErntehelferInnen auf sich Aufmerksam gemacht hat. Die Beziehung zu seiner Stadt ist ambivalent: So desolat die sozialen Verhältnisse sind, so gut sind dagegen aber Essen, Wein und Kräuter. Die Landschaft ist ebenso gegensätzlich: sie ist geprägt vom harschen Zusammentreffen der teils hohen Berge und dem Mittelmeer. Ein typisches Bild für die, Sizilien gegenüberliegende, Ebene von Goia Tauro.

Nie mehr Hunger

Ende der 1960er Jahre erfasst der Nachkriegsboom endlich auch Teile Süditaliens, dessen Einbindung zuvor beinahe ausschließlich über Millionen von ArbeitsemigrantInnen in den Fabriken des Nordens erfolgte. Auch in Italien nahm der Fleischkonsum der einfachen Bevölkerung massiv zu. Man kann getrost davon ausgehen, dass diese massive Zunahme in beinahe allen europäischen Ländern (auch in Österreich) und die Identifizierung von Fleisch mit Wohlstand kein Zufall ist.

Der ausgebildete Jurist Anto kannte die, früher eigentlich fleischlose, Parmigiana, ein Festtagsgericht für ärmere Leute, nur noch mit Schinken oder anderen Fleischprodukten, wie er mir erklärt während wir Zucchini in Scheiben schneiden und anschließend dehydrieren. Wir machen die Parmigiana heute ohne Fleisch, und sind damit nicht alleine. In ganz Italien, besonders aber im von der Finanzkrise stark betroffenen Süditalien, wird das Fleisch krisenbedingt weggespart.

Reich werden mit der Krise

Das machen wir auch, obwohl wir gerade in Malta sind, wo Anto mittlerweile lebt – denn bei einer Arbeitslosenrate unter jungen Menschen von mehr als 50 Prozent, wie sie mittlerweile seit Jahren in Süditalien die Regel ist, zieht es viele nach Malta, wo sie im Tourismus oder der Gastronomie arbeiten (und zwischen 4 und 8 Euro in der Stunde verdienen). Italiener_innen machen heute bereits 10 Prozent der Bevölkerung aus. Sie verdienen damit am ehesten so viel wie die MalteserInnen selbst. CallcentermitarbeiterInnen aus allen (besonders aber aus den krisengeplagteren) Ecken Europas bekommen hingegen in der auf Malta aufgrund von Steuervorteilen besonders starken Customer Service Branche teils ein vielfaches davon.

Auf der Insel mit kolonialer Vergangenheit florieren aber auch die Online-Glücksspielindustrie (eine laxe Gesetzgebung macht es möglich) sowie diverse Firmen, die sich „Finanzdienstleister“ nennen und von KundInnenberatung in der Regel deutlich stärker profitieren als die KundInnen selbst. Anto betreute (unter falschem Namen) anfangs in Malta meistens MittelschichtsitalienerInnen via Internt oder Telefon für eine schon in der Namensgebung nicht allzu seriösen Firma, wie er mit nachträglichem Lächeln erzählt, als er die Zwiebel in der Pfanne anröstet.

La magra vita

Trotz guter Verdienstmöglichkeiten wollte er, der während seiner Studienzeit nicht einen ECTS für die Besetzung von Hörsälen bekommen hat, sich beruflich davon weit wegentwickeln. Er arbeitet mittlerweile bei „Burger King“ für einen bizarr niedrigen Stundenlohn. Ein Wechsel zum deutlich besser zahlenden „Kentucky Fried Chicken“ schlug fehl. Die beiden Chefs kannten sich und der eine verbat sich das Abwerben seines Fleischlaberlbraters. „Mein Chef hat mich auch nicht angemeldet und zahlt keine Sozialversicherungsbeiträge für mich. Ich werd ihn anzeigen, das ist meine letzte Aktion hier. Dann verlasse ich die Insel. Ich habe einen Cousin in Frankfurt am Main oder vielleicht gehe ich auch nach Wien, wo ich viele Freunde habe.“ Zurück nach Kalabrien will er nicht. Hoffnung, dass es dort irgendwann besser wird, haben die Wenigsten.

Laut dem nationalen italienischen Statistikinstitut ISTAT war 2012 das erste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, in dem im Land eine durchschnittliche Gewichtsabnahme zu verzeichnen war. In Süditalien war das Phänomen dreimal stärker ausgeprägt als im Norden. Im Inselparadies ist davon nichts zu merken und wir fallen über die Parmigiana alla crisi her, danach gibt es Grappa, denn sie ist alles andere als leicht.

Am Tag darauf kündigt Anto bei Burger King und bekommt ein Bewerbungsgespräch bei einem Chemiekonzern. Den Job bekommt er tatsächlich. Sein ehemaliger Chef muss keine juristischen Probleme fürchten, Anto hat keine Energie und keine Motivation mehr, ihn zu belangen. Sein erster maltesischer Arbeitgeber, der „Finanzdienstleister“, hat sich wieder umbenannt. Es ist der siebente Firmenname in drei Jahren.

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Rezept für eine Parmigiana alla Crisi

1.)  Zucchini (800 Gramm) in Scheiben schneiden, 300 Gramm würzigen Käse würfeln. Die Zucchini in ein Sieb und mit Salz (am besten grobes) bestreuen. Auf die gesalzenen Zucchini kommt dann ein beschwerter Teller. Das entzieht den Zucchini Flüssigkeit.

2.)  200 Gramm Semmelbrösel und 100 Gramm Parmesan sowie zwei kleingeschnittene Knoblauchzehen mit Petersilie vermischen.

3.)  Eineinhalb weiße Zwiebel in Pfanne anbraten, dann mit zweieinhalb Liter Tomatenpassata etwa eine halbe Stunde auf kleiner bis mittlerer Flamme köcheln lassen. Salzen und Pfeffern, bei Bedarf etwas Wasser hinzufügen.

4.)  Die Zucchini in heißem Öl frittieren.

5.)  Alles mit einem halben Kilo Penne gut vermischen.

6.) Jeweils eine Schicht Parmesan-Semmelbröselgemisch mit Pasta und Zucchini in eine Backform schichten.

7.)  Bei 200° Grad im unteren Bereich eines Backofens etwa 35 Minuten belassen. Wer dann noch immer nicht am Verhungern ist, kann noch warten: Die Parmigiana wird traditionell nicht heiß sondern bei Zimmertemperatur verzehrt. Schmecken tut sie aber so oder so.

8.)  Dazu können sowohl Rot- als auch Weißwein serviert werden. Magenbitter oder Schnaps als Nachtisch ist empfehlenswert.

Ako Pire studiert Raumplanung an der TU Wien und Politikwissenschaft an der Uni Wien. Er ist aktiv in der Offensive gegen Rechts und hat für ein Jahr in Rom gelebt.

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