Warum wir gegen das Kopftuchverbot demonstrieren müssen

Warum sie gegen ein Berufsverbot von sichtbaren Musliminnen auf die Straße gehen und warum sie dabei nicht nur MuslimInnen unterstützen müssen, erklären die OrganisatorInnen des Protest #MuslimBanAustria im Interview mit Mosaik-Redakteur Martin Konecny.

Die österreichische Bundesregierung will das sichtbare Musliminnen von Teilen des öffentlichen Diensts fernhalten und Niqab-tragende Frauen bestrafen. Dagegen formiert sich Widerstand. Junge MuslimInnen rufen für diesen Samstag um 13:30 Uhr zur Demo auf.

Was bezweckt die Regierung mit dem Berufsverbot für sichtbare Musliminnen bei Gericht und der Polizei und dem sogenannten Burkaverbot?

Vorab möchten wir klarstellen, dass klar ist, dass das Verschleierungsverbot ein medienwirksames Ablenkungsmanöver ist. Verschleiert werden so soziale und wirtschaftliche Missstände sowie die Tatsache, dass die anti-demokratische Politik der Regierung die gesamte Gesellschaft in ihren Freiheitsrechten bedroht. Stichwort: Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Wir werden uns nicht als Ablenkungsmanöver instrumentalisieren lassen, sondern wollen die mediale Aufmerksamkeit dazu nutzen, um die Gesellschaft vor diesen Maßnahmen zu warnen und zu Solidarität und gemeinsamem Widerstand aufzurufen.

Die Regierung argumentiert aber mit der „Neutralität des Staates“.

Klar ist, hier geht es nicht um die „Neutralität des Staates“, sondern um die Unbefangenheit der Personen, die „in Vertretung des Staates“ arbeiten. Der Staat muss neutral sein, seine BürgerInnen nicht. Sie können gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention ihre Religion frei praktizieren, selbstverständlich in der Öffentlichkeit und auch in einem öffentlich sichtbaren Amt. Was Personen, die im Staatsdienst als RichterInnen, aber auch als LehrerInnen arbeiten, sehr wohl sein müssen, ist unbefangen. Das bedeutet, die eigene politische oder religiöse Weltanschauung darf keinen Einfluss auf ihre Arbeit haben, denn der Staat hat den Anspruch, alle seine BürgerInnen gleich zu behandeln. Was Befangenheit ist, ist klar definiert. Diese Richtlinien gelten für alle gleich, sie müssen einfach nur angewendet werden.

Die Regierung unterstellt allen sichtbaren Musliminnen pauschal, sie wären von vornherein befangen. Damit spricht sie ihnen ihre Professionalität ab, ja kriminalisiert sie. Eine ähnliche Diskussion gab es früher schon: Frauen wurde eine „emotionale Befangenheit“ unterstellt, die sie von ihrer Professionalität nicht trennen könnten. Heute lacht man darüber zurecht. Umso unverständlicher ist es nun, die Befangenheit nach Kleidungsstücken zu messen.

Und wie sieht die Situation rein rechtlich aus?

Rein rechtlich ist die Sache klar. Das Kopftuch ist ein Bekleidungsstück und kein religiöses Symbol. Auch bezüglich religiöser Symbole gibt es geltende Rechtsprechung. Es handelt sich beim Tragen des Kopftuches um ein Selbstbestimmungsrecht und um eine religiöse Praxis, deren Umsetzung jeder Frau allein überlassen bleiben muss. Die Religionsfreiheit gewährleistet nicht nur die Glaubensfreiheit, sondern ebenso die Ausübung nach eigenem Ermessen.

Wie man an der Reaktion des Justizministers Brandstetter sehen kann, ist ein „Hijab Ban“ in Gerichten und bei der Polizei in der Praxis ja gar nicht neu. Wir teilen aber seine Einschätzung nicht. Im Gegenteil, wir sprechen uns klar dafür aus, dass mit jeder Uniform ein Hijab getragen werden kann und darf. Das ist die richtige Umsetzung der geltenden Menschenrechte und der angestrebten Gleichberechtigung.

Auch ohne jede gesetzliche Grundlage wird also bereits allein durch die geltenden Bekleidungsvorschriften diskriminiert: Eine vorhandene Schieflage würde damit verstärkt werden und eine Verschlechterung der prekären Situation bringen – vor allem für MuslimInnen, die im öffentlichen Bereich tätig sind und das Kopftuch tragen.

Und wie steht ihr zum sogenannten „Burkaverbot“?

Das ist anders und noch weitergehender. Es ist ein bevormundender Ansatz der „Befreiung“ von Niqab-Trägerinnen. Die Kriminalisierung dieser Frauen gleicht einer Hetzjagd. Vor allem sollte hier überlegt werden, was das in der Praxis bedeutet: Frauen können dazu gezwungen werden, weniger Bekleidung anzuziehen, als sie selbst entscheiden zu tragen. Es ist eine autoritäre, antifeministische Politik, die Macht über die Körper von Frauen ausübt. Frauen werden durch dieses Verbot in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt. Das, was muslimischen Männern vorgeworfen wird, Frauen wegzusperren und einzuschränken, übernehmen hier weiße Männer, Politiker, die diese Ausgrenzung gesetzlich verankern.

Das ist eine autoritäre, populistische, chauvinistische Politik. Männer bestimmen paternalistisch über Frauen, die noch dazu einer Minderheit angehören, die schon an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde.

Muslimische AktivistInnen, ArbeiterInnen und AkademikerInnen haben die Botschaft verstanden: Das sogenannte „Integrationspaket“ betrifft uns direkt. Wir sollen keinen sichtbaren Platz in der Gesellschaft und keine repräsentativen Positionen haben. Die Folge ist eine Verdrängung von Frauen hinter den Herd und in die unteren Segmente des Arbeitsmarkts, wenn sie ihr Menschenrecht auf freie Religionsausübung wahrnehmen. Diesen Kampf haben unsere Mütter und Großmütter schon gekämpft.

Wir haben verstanden, dass wir zum politischen Spielball der Koalitionsverhandlungen geworden sind. Anscheinend sind wir nicht mehr als ein billiges Pfand, das zwischen weißen Männern getauscht wird, um ihre Forderungen durchzubringen.

Wir haben keine Lust, als Ablenkung von realpolitischen Schwierigkeiten herzuhalten. Wir fordern, dass in diesem Land unsere Rechte wahrgenommen und geschützt werden und der Staat unserer Religionsfreiheit keinen geringeren Wert zuerkennt, als allen anderen anerkannten Religionsgemeinschaften.

Dieser Aufgabe der Wahrung unserer Rechte und der Gleichbehandlung kann ein neutraler Staat nur glaubhaft nachkommen, wenn seine Justiz und Exekutive ein Spiegelbild der realen Gesellschaft sind.

Befürchtet ihr, dass ein Burkaverbot und ein Berufsverbot für sichtbare Musliminnen am Gericht und bei der Polizei nur einen ersten Schritt darstellen?

Das ist sogar ganz klar, denn das war auch das erklärte Ziel der ÖVP. Es gibt gar keinen Grund, von etwas anderem auszugehen. Darum gehen wir auch auf die Straße. Das Verbot wird zunächst für eine kleine Gruppe von Betroffenen umgesetzt, wo mit weniger Widerstand gerechnet wird. Danach wird es weitergehen. Wir sind und bleiben wachsam und werden diese Verbote nicht hinnehmen!

Alles in allem hat die Regierung rechte Forderungen der Identitären und der FPÖ offen übernommen und möchte sie umsetzen. Wir wissen, dass die Diskurse zusammenhängen und dass es sich hier um eine schrittweise Entrechtung handelt. Dies ist ein erster Schritt, weitere Verbote werden nicht lange auf sich warten lassen und Frauen in Abhängigkeiten und prekärere Lebensumstände drängen.

Diese Maßnahme ist in erster Linie eine Attacke auf muslimische Akademikerinnen. Statt diese Akteurinnen als wertvollste Ressourcen für positive integrative Politik zu begreifen, werden diese nun kriminalisiert. Es ist ein offener Hohn, dass diese Maßnahmen unter der Rubrik „Integrationspaket“ beschlossen werden sollen. Statt muslimische Frauen dabei zu unterstützen und zu motivieren, sich gut auszubilden, an der Gesellschaft aktiv teilzuhaben und ihnen Wertschätzung zu vermitteln, werden Frauen marginalisiert und kriminalisiert. Sie werden vom Arbeitsmarkt gedrängt und es wird versucht, sie vom höheren Bildungserwerb abzuhalten.

Unter dem Hashtag #MuslimBanAustria ruft ihr zur Demo gegen das sogenannte „Integrationspaket“ auf. Damit setzt ihr euren Protest in Beziehung zu dem massenhaften Widerstand gegen Trumps Einreiseverbot für viele MuslimInnen. Was haben Trump und dieses Integrationspaket gemeinsam?

Sie entstammen demselben Gedankenkonstrukt, dass MuslimInnen in erster Linie „anders“ sind, nicht dazugehören und deshalb auch anders behandelt werden müssen. Damit einher geht der Gedanke, dass sich Gesellschaften vor MuslimInnen schützen müssen. Das impliziert, dass sie gefährlich sind und forciert feindselige Haltungen, befeuert auch Hasskriminaltität. Der internationale Rechtsruck ist ja schon längst auch in Österreich angekommen. Letzten Endes geht er auch nicht unmaßgeblich von Österreich aus.

Hoffnung setzen wir natürlich in unseren neuen Bundespräsidenten, für den auch viele junge muslimische Frauen aktiv mobilisiert haben, der für eine offene tolerante Gesellschaft wirbt. Leider hat dieser sich noch nicht zu den geplanten Maßnahmen geäußert.

Das Positive ist: Trumps Politik, seine menschenrechts-verachtenden Erlässe, haben eine unglaubliche Welle der Solidarität ausgelöst, einen Aktivismus von unten. Das ist ein globales Phänomen des Widerstandes gegen rassistische, kapitalistische, patriarchale Strukturen, denen sich viele Gruppen der Zivilbevölkerung anschließen können.

Was erwartet ihr euch von der nicht-muslimischen Linken und Zivilgesellschaft? Wie kann praktische Solidarität jetzt aussehen?

Praktische Solidarität muss bedeuten, sich an den Bedürfnissen der Betroffenen zu orientieren: mitgehen, mitdemonstrieren, mobilisieren, posten, teilen, Hashtags verbreiten, Solidarität in den sozialen Netzen und Vernetzung zeigen. Hilfreich ist auch, Druck auf die Regierung ausüben, damit sie die Menschenrechte, Frauenrechte und Religionsfreiheit wahrt.

Die Stimme erheben für MuslimInnen – und dort, wo man die Möglichkeit hat: Stimme geben, Plattform bieten, reden lassen. Wir sprechen für uns selbst, es sind unsere Erfahrungen, unser Körper, unsere Diskurse!

Das Regierungsprogramm richtet sich ja nicht nur gegen MuslimInnen, sondern auch gegen Geflüchtete und Arbeitslose, kurz gesagt, es ist rassistisch, autoritär und neoliberal. Ihr macht jetzt gerade den ersten Schritt, Widerstand zu organisieren. Welche weitere Schritte braucht es, um den Widerstand zu verbreitern, ohne dass bestimmte Kämpfe und Interessen an den Rand gedrängt werden?

Für uns war von Anfang an klar: Das ist nur ein erster Schritt. In weiterer Folge möchten wir auf breiter, zivilgesellschaftlicher Ebene Bündnisse aufbauen und vernetzen. Rassistische, neoliberale, autoritäre Politik bedroht nicht nur unsere Menschenrechte. Mit uns fängt man an, weil wir in der Gesellschaft „schwach“ aufgestellt sind. Es muss allen klar sein: Dieses Regierungsprogramm richtet sich nicht nur gegen MuslimInnen, sozial Schwache und Geflüchtete alleine, es richtet sich gegen alle ÖsterreicherInnen, die nicht mindestens der oberen Mittelklasse angehören. Ein Überwachungsstaat bedroht die Privatsphäre aller, der Generalverdacht trifft am Ende uns alle. Deshalb ist es auch wichtig, gemeinsam dagegen aufzustehen.

Unsere Intention ist es auch, nicht allein die muslimische Frau zu schützen, sondern auch aufzuzeigen, dass weitere Maßnahmen des Integrationspaketes fundamentale Rechte eines Individuums bedrohen, wie die freie Berufswahl von Geflüchteten und die Aberkennung einer angemessenen Entlohnung nach geleisteter Arbeit entsprechend österreichischen Gehaltsregelungen. Geflüchtete dürfen in ihrer Notlage nicht noch mehr missbraucht werden und es darf ihnen nicht unentgeltliche Arbeit aufgezwungen werden. Was sich, wie das Integrationsjahr, wie eine hilfreiche Maßnahme zur Integration ins Arbeitsleben anhört, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als die Legalisierung von Zwangsarbeit. Weshalb wir ersuchen, solidarisch mit allen Betroffenen des Integrationspaketes zu wirken.

Das ist nur der Anfang! Wir richten unsere ganze Kraft in die Vernetzung und erwarten eine breite Solidarität der Zivilbevölkerung und von MenschenrechtsaktivistInnen. Wir verwenden alle Möglichkeiten des friedlichen zivilen Widerstandes!

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