Konsum statt Demokratie: Warum die ÖVP Demos aus der Stadt verbannen will

Kürzlich starteten Wiener Unternehmer_innen, unterstützt von der ÖVP Wien, eine Petition gegen „Demonstrationen mit erhöhtem Gefahrenpotenzial“. Sie fordern, dass eigene Demonstrationszonen eingerichtet werden. Klingt lächerlich, ist aber gefährlich: Die Petition spiegelt eine Tendenz in Europa, kritische Öffentlichkeit aus Innenstädten zu verbannen, erklären Andrea Kretschmann und Aldo Legnano. 

Demonstrationen, so der Tenor, stören bloß beim Shoppen, machen Verkehrsstaus, sie sind laut und lästig und verbreiten Angst. Warum also Versammlungsfreiheit gewähren für potenzielle Chaoten, die Innenstädte verstopfen und unverständliche Parolen skandieren? Wenn das schon sein muss, dann bitte unauffällig.

Demo-Zonen nach russischem Vorbild?

Demonstrationen sollen also raus aus der Innenstadt. Als mögliche Ausweichorte nennt ÖVP-Landesparteichef Blümel gegenüber dem Kurier den Heldenplatz, die Prater-Hauptallee oder die Donauinsel. Demonstrationen könnten seiner Meinung nach also ohne Probleme auch abseits einer städtischen Öffentlichkeit und weit weg vom jeweiligen Protestanlasses stattfinden.

Der Vorstoß erinnert unangenehm an die Politik des Internationalen Olympischen Komitees: Im russischen Sotschi waren für die olympischen Winterspiele 2014 etliche Kilometer abseits vom Zentrum Sonderzonen fürs Demonstrieren eingerichtet worden, mit einer Obergrenze für die Anzahl der Teilnehmer_innen.

Vordemokratische Denkweise

Das Problem solcher Vorschläge liegt auf der Hand. Wenn politische Inhalte nur mehr auf der Prater-Hauptallee in einen menschenleeren Wald gerufen werden dürfen, wird das Echo kaum kaum mehr wahrnehmbar sein. Genau das ist es auch, was die ÖVP in Wirklichkeit will: Protest, den man möglichst nicht hört und sieht, weil er die Menschen in der Innenstadt angeblich eh nichts angeht.

Andere Meinungen zuzulassen gehört aber zur Definition von Demokratie. Das beinhaltet auch, dass man Protest öffentlich kundtun darf. Demonstrationen in Sicht- und Hörweite des Protestanlasses und innerhalb einer Öffentlichkeit durchführen zu können, selbst wenn sie stören, ist deshalb auch im Versammlungsrecht festgeschrieben.

Der Vorschlag von Unternehmer_innen und ÖVP ist deshalb vordemokratisch. Er beruht auf einem autoritären Verständnis von Demokratie. Zivilgesellschaft wird hier mit dem Pöbel gleichgesetzt.

Konsumzone Innenstadt

Die Petition ist also reichlich absurd und hat wohl auch geringe Chancen auf Erfolg. Aber sie ist nicht unwichtig. Denn sie ist Ausdruck einer Geisteshaltung, die in Europa immer stärker wird. An vielen Orten wird versucht, Demonstrationen aus Innenstädten zu verbannen, die ja inzwischen vor allem als Konsumzonen und Aushängeschilder im Wettbewerb der Städte dienen.

Seit den 1990er Jahren rücken deshalb ordnungspolitische Maßnahmen in den Vordergrund, die gegen alles vorgehen, was nicht dem Konsum dient. Nicht-Konsumierende werden dabei mit Unordnung assoziiert, Unordnung wiederum mit Unsicherheit gleichgesetzt.

So wird Betteln seit den 1990er Jahren in vielen Innenstädten als organisierte Kriminalität behandelt und unter Strafe gestellt. In England werden Jugendlichen dauerhafte Platzverweise ausgestellt, wenn sie sich in der Öffentlichkeit „auffällig“ bzw. „gefährlich“ verhalten, also zum Beispiel „herumlungern“ oder sich betrinken.

Verbannung von Protest

Dass auch Demonstrationen immer öfter unter die Kategorie der Ordnungs- bzw. Konsumstörung fallen, hat mit dieser Entwicklung zu tun. So wurde die Hamburger Innenstadt in der Vorweihnachtszeit 2002 für Demonstrationen für tabu erklärt und auf Nebenstraßen verlegt. In London wurden schon mehrmals Demonstrationsverbote für ein oder zwei Monate erlassen. Mehrtägige generelle Verbote fürs Demonstrieren sind in europäischen Städten seit einigen Jahren gang und gäbe. Nicht selten funktioniert die manische Rede von der (Un-)Sicherheit hierbei wie eine Trumpfkarte, die immer sticht.

Das gilt auch und insbesondere für das vergleichsweise protestunerfahrene Österreich. Hierzulande herrscht ohnehin meist Skepsis, was denn die Leute auf der Straße da treiben, was nicht auch im Nationalrat erledigt werden könnte. Das spitzt sich zu, wenn Demonstrationen als gefährlich dämonisiert werden, obwohl die allergrößte Mehrzahl in geordneten Bahnen verläuft. Gewaltsame Ausschreitungen sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verschwindend gering.

Bisher wurden Demonstrationen in Österreich noch nicht aus Innenstädten verdrängt, weil sie den Konsum stören. Aber es gibt inzwischen eine neu geschaffene gesetzliche Grundlage dafür. Mit der jüngsten Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) wurde das absichtslose Verstellen von Geschäftspassagen zur Ordnungsstörung erklärt. Protest könnte auf dieser Grundlage zukünftig als Konsumhindernis kriminalisiert werden.

Demokratie braucht Protest

Die Stadt ist traditionell der Ort des Politischen. Das betrifft nicht nur die parlamentarische Politik, sondern auch die „Politik der Straße“. Protest in Innenstädten sollte weder pauschal aufgrund von Sicherheitserwägungen noch aufgrund von Geschäftsinteressen unterbunden werden. Ja, Protest stört und unterbricht die normalen Abläufe innerhalb einer Öffentlichkeit – aber es ist seine demokratische Funktion, genau dies zu tun.

Andrea Kretschmann, Soziologin und Kriminologin, arbeitet als Forscherin am Centre Marc Bloch, An-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, und ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift juridikum, wo demnächst ein von ihr und Angelika Adensamer betreuter Schwerpunkt zum Thema „Protest policing“ erscheint.

Aldo Legnaro ist freier Sozialwissenschafter, er forscht unter anderem zu Recht und Sicherheit im städtischen Raum.

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