Je suis foulard! Ich trage Kopftuch!

Gestern reihten sich die beiden ÖVP Altvorderen Josef Riegler und Heinrich Neisser ein in die Forderung nach einer Bestrafung der so genannten Integrationsunwilligen. Wieder einmal dient ihnen die Verhüllung muslimischer Frauen als zentrales Symbol einer solchen „Unwilligkeit“, und sie fordern ein Verbot des Kopftuchs an Schulen sowie der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit. Frauen, die mit ihrer Bekleidung ihren Glauben zum Ausdruck bringen wollen, sollen von öffentlichen Schulen ausgeschlossen und einigen soll es darüber hinaus verboten werden, das Haus zu verlassen. Sie sollen gefälligst zuhause bleiben. Als Feministin fällt mir zu solch aberwitzigen Vorschlägen unter dem Label „Integration“ als erste Reaktion ein: „Je suis foulard! Ich trage Kopftuch!“

Das Kopftuch und andere Formen der Körperverhüllung, die gläubige muslimische Frauen tragen, geben seit mehr als zehn Jahren Anlass zu vielfältigen Deutungen und politischen Regulierungen in den europäischen Einwanderungsländern. In Frankreich und Deutschland wurde ab 2004, in einer Welle, die als Mischung aus anti-muslimischem Ressentiment nach den Anschlägen im Jahr 2001, hilflosem Umgang mit einer vernachlässigten Immigrationspolitik und der Suche nach nationaler Identität gesehen werden muss, das Tragen des muslimischen Kopftuchs in öffentlichen Institutionen, vornehmlich in Schulen, verboten. Die Türkei, deren Zugehörigkeit zu Europa ja immer wieder in Zweifel gezogen wurde und wird, verfügte bereits in den 1990ern mit dem Verweis auf die säkulare Tradition des Staates ein solches Verhüllungsverbot. Die jüngsten AKP-Versuche, diese Verbote aufzuheben, waren nicht wirklich erfolgreich. In Österreich gab es in diesen Jahren nur wenige Stimmen – etwa jene der damaligen ÖVP-Innenministerin Liesl Prokop – die für ein Kopftuchverbot eintraten. Insgesamt folgte Österreich seiner Tradition der Nicht-Entscheidung, die Kopftuchfrage wurde von den Medien und den großen Parteien kaum zum Thema gemacht.

„Unsere“ freien Frauen?

Klar, die FPÖ verwendete das Thema schon früh, um gegen Muslime und MigrantInnen zu hetzen: „Freie Frauen statt Kopftuchzwang“ sollte den Wiener Wahlkampf 2005 anheizen. Die „freien Frauen“ – also „unsere“ Frauen – wurden gegen den Kopftuchzwang der „Anderen“gestellt. Angesprochen waren vor allem die patriarchalen muslimischen Männer, die „ihre“ Frauen unterdrückten. Die FPÖ erschien so als Retter muslimischer Frauen, vor allem aber eines modernen Österreichs. So konnten sie transportieren: Österreichische Männer sind nicht patriarchal, unterdrücken niemanden – und die österreichischen Frauen sind schon gleichberechtigt. Die Heuchelei war offensichtlich – man brauchte nur andere Parteidokumente und zahllose Wortmeldungen von FPÖ-PolitikerInnenlesen, die ein erzkonservatives Geschlechterbild mit klassischer Rollenteilung zwischen Männern und Frauen vertreten.

Die großen Parteien SPÖ und ÖVP, wiewohl ebenso gespalten in der Kopftuchfrage – wie im Übrigen auch die Frauenbewegung – stimmten damals in das rechtsradikale anti-islamische Heulen allerdings nicht ein. Sie verhielten sich ruhig, reagierten indem sie nicht reagierten. In Interviews, die wir im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts führten, war aus der ÖVP zu hören, dass das Kopftuch zur traditionellen Bekleidung österreichischer Frauen auf dem Land gehöre und vor allem, dass ein Kopftuchverbot dann ja auch das Habit, also die Kopfbedeckung der katholischen Nonnen treffen würde. Also: Es gab keine öffentliche Debatte, weder eine Entscheidung gegen, noch eine für eine explizit tolerante Haltung gegenüber muslimischen Symbolen. Es gab aber auch kein politisches Signal gegen die rechtsradikale Instrumentalisierung der Gleichstellungsfrage gegen MigrantInnen. Die Tradition in Österreich, dass rechtspopulistische Parteien und rechtsradikale Bewegungen die großen Parteien vor sich her treiben und dass die Volksparteien dies mit sich machen lassen, wurde fortgeführt.

Eine Form der Gewalt

Nun ist die Forderung nach einem Kopftuchverbot zurück in Österreich, hochgespült auf der Welle rechtsradikaler und anti-muslimischer Mobilisierung der vergangenen Wochen. Und das Argument des Verbots kommt wieder mit dem altbekannten Pseudo-Argument der Gleichstellung der unterdrückten muslimischen Migrantinnen daher. Die Argumentationsfigur, dass Frauen von Männern gerettet werden müssen, ist so alt wie das „Abendland“, auch in seiner modernen Variante. Das scheinen die von Heinrich Neisser und Josef Riegler beschworenen europäischen Werte zu sein. Ansonsten bleiben diese Werte im Nebulosen. Männer setzen sich für die Gleichstellung der Frauen ein – freilich der Frauen der „Anderen“. Das hat mit Emanzipation gar nichts zu tun, sondern ist reine Bevormundung von Frauen – Paternalismus pur. Zudem: dass Strafen und Verbieten Integration überhaupt nicht fördert, das sollte das französische Beispiel hinlänglich gezeigt haben.

Haben jene Politiker, die nun ein Kopftuchverbot fordern, denn versucht, sich in eine jener verhüllten muslimischen Frauen hinein zu versetzten, die sie aus den Klauen patriarchaler Männer befreien wollen, die sie meinen befreien zu müssen, weil die Frauen selbst dazu nicht in der Lage seien? Die Antwort ist nein, denn in dieser Debatte wird Frauen systematisch Handlungsmacht und Selbstbestimmung abgesprochen. Eine solche bevormundende Debatte anzustoßen ist eine Form der Gewalt: Gewalt durch Sprache und Deutungen. Sie ist vom vielbeschworenen liberalen Rechtsstaat weit entfernt.

Gemeinsam mit muslimischen Frauen

Die Forderung nach einem Kopftuchverbot ist Wind auf die Mühlen der Rechten, ist nur ein weiteres Instrument der Verschärfung von Migrationspolitik. Eine wirklich demokratische Diskussion müsste Gleichstellung im Dialog und in der Auseinandersetzung mit jenen entwickeln, die davon betroffen sind – also gemeinsam mit verhüllten muslimischen Frauen. Dies setzt freilich voraus, dass kopftuchtragenden Frauen nicht von vornherein das Denken abgesprochen wird. Es setzt auch voraus, dass Offenheit für das Argument der „Anderen“ da ist – und dass Geschlechterdiskriminierung als umfassendes Problem in Österreich ernst genommen wird. Eines sollte klar sein: Es geht in dieser Debatte ganz offensichtlich nicht um Geschlechterherrschaft. Dass es diese gibt, dass manche muslimische Frauen und Mädchen gezwungen werden, sich zu verhüllen, ist richtig. Es gibt diese Praktiken, auch in Österreich. Doch Patriarchat und Frauenunterdrückung lässt sich nicht dadurch beseitigen, dass Frauen bestraft werden – und auch nicht durch das wiederholende Beschwören europäischer Werte. Denn es gibt viele Beispiele dafür, dass es mit diesen Werten nicht weit her ist, wenn es um Emanzipation und Frauenbefreiung geht. Man denke nicht zuletzt an die überall präsente Kommerzialisierung nackter weiblicher Körper. Wie gesagt: Ich trage Kopftuch!

 

Birgit Sauer ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

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