Die dritte Option: Wie Intersex-Personen um Anerkennung kämpfen

Das deutsche Bundesverfassungsgericht fasste Anfang November einen wegweisenden Beschluss: Künftig soll es möglich sein, neben männlich und weiblich eine dritte Geschlechtsoption eintragen zu lassen. Dabei geht es um die rechtliche Anerkennung von Intersex-Personen: Menschen, die nicht in die herkömmlichen gesellschaftlichen und medizinischen Vorstellungen von Frau und Mann hineinpassen. Tinou Ponzer und Paul Haller von der Plattform Intersex Österreich erklären Hintergründe der Entscheidung in Deutschland und welche Veränderungen in Österreich zu erwarten sind.

Um zunächst die naheliegende Frage zu beantworten: Warum braucht es eine dritte Option? Weil es einfach mehr gibt als nur Männer und Frauen. Intergeschlechtlichkeit beschreibt Menschen, deren Geschlechtsmerkmale nicht in die medizinische Vorstellung von „männlich“ und „weiblich“ passen. Zu den Geschlechtsmerkmalen gehören die Chromosomen, die Hormone, die Genitalien und die Gonaden (Eierstöcke und Hoden).

Im deutschsprachigen Raum verwenden Selbstvertretungsorganisationen dafür den Begriff „Inter*“. Während die meisten Bezeichnungen und auch ein Großteil des Wissens, das wir über Intergeschlechtlichkeit haben, aus der Medizin stammen, ist „Inter*“ eine positive Selbstbezeichnung, die Menschenrechtsaktivist*innen für sich geprägt haben. Das Sternchen bei „Inter*“ weist daraufhin, dass es sich dabei um einen Regenschirmbegriff handelt. Inter* ist also ein Sammelbegriff, unter dem Menschen mit ganz unterschiedlichen Körpern und Varianten der Geschlechtsentwicklung Platz haben.

Kein Platz in der Gesellschaft

Keinen Platz haben sie allerdings in einer Gesellschaft, die rechtlich nur zwei Geschlechter kennt. Dabei gibt es immer mehr Länder, die zumindest in Reisedokumenten eine zusätzliche Kategorie wie „X“ oder „non-specified“ anerkennen. Dazu gehören etwa Australien, Bangladesh, Dänemark, Indien, Malta, Nepal und Neuseeland.

Die Schaffung eines dritten Geschlechtseintrags wurde bereits in der sogenannten Malta-Deklaration gefordert, einer öffentlichen Erklärung des Dritten Internationalen Intersex Forums 2013. Seither haben Interessenverbände sie wiederholt bekräftigt. Eine dritte Option ist nicht nur für intergeschlechtliche Menschen bedeutend, sondern auch für Menschen, die sich unabhängig ihrer Geschlechtsmerkmale nicht als Mann oder Frau identifizieren.

Die Entscheidung in Deutschland

Bereits 2013 wurde in Deutschland das Personenstandsgesetz neu geregelt. OII Europe, der europäische Dachverband von Selbstvertretungsorganisationen intergeschlechtlicher Menschen, bezeichnete die Regelung aber als „Mogelpackung für Inter*“. Sie sah nämlich vor, dass der Personenstand von intergeschlechtlichen Neugeborenen frei gelassen werden musste. Dies aber ist in mehrfacher Hinsicht problematisch.

Erstens werden die meisten intergeschlechtlichen Neugeborenen nicht bereits bei der Geburt als solche erkannt. Zweitens schafft die Regelung keinen dritten Personenstand. Ein kleiner Teil der intergeschlechtlichen Kinder hatte damit einfach gar keinen Personenstand. Genau das wies das Bundesverfassungsgericht in der aktuellen Entscheidung als verfassungswidrig zurück.

Drittens überlässt die Regelung der Medizin die Entscheidung, wann ein Geschlechtseintrag frei bleiben sollte. Das widerspricht der Forderung von Selbstvertretungsorganisationen, den eigenen Geschlechtseintrag freiwillig, selbstbestimmt und möglichst unbürokratisch eintragen zu dürfen.

Viertens wurde befürchtet, dass eine zwangsweise Freilassung der Geschlechtseintragung zu einem Zwangsouting führen kann. Etwa, wenn Eltern ihre Kinder im Kindergarten anmelden und mit den erforderlichen Unterlagen auch den nicht vorhandenen Geschlechtseintrag offenlegen müssen.

Kein Stopp der Genitalverstümmelung

Schließlich blieb mit der damaligen Mogelpackung die zentralste Forderung von Inter*-Organisationen unbeachtet: Der sofortige Stopp von geschlechtsverändernden Eingriffen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen, für die sie sich nicht selbst entscheiden und die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Laut einem Fokuspapier der Europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahr 2015 führen Ärzt*innen in mehr als 20 EU-Mitgliedsstaaten noch immer geschlechtsnormierende medizinische Eingriffe durch.  Inter*-Aktivist*innen bekämpfen diese Praxis  seit den 1990er Jahren als Menschenrechtsverletzung und Intersex-Genitalverstümmelung.

Inter*Aktivist*innen klagen (an)

Von einer dritten Option oder einer „Abschaffung der Geschlechter“, wie 2013 in zahlreichen Medien suggeriert wurde, war Deutschland damals jedenfalls noch weit entfernt. Inter*Aktivist*innen wollten sich ihre fehlende rechtliche Existenz aber nicht länger gefallen lassen. Unterstützt von der Kampagne „Dritte Option“ beschloss die intergeschlechtliche Person Vanja sich auf einen jahrelangen Rechtsweg einzulassen. Vanja kämpfte für einen passenden Geschlechtseintrag – und gewann. Das Ergebnis: Der deutsche Bundestag ist gefordert, bis Ende 2018 eine Neuregelung des Personenstandsgesetzes zu schaffen. Dabei zeigt das Höchstgericht zwei Wege auf: Entweder die Gesetzgeber*innen schaffen einen positiven, dritten Geschlechtseintrag, oder – und das wäre noch revolutionärer – der Geschlechtseintrag muss insgesamt abgeschafft werden.

So oder so ist die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts bahnbrechend. Denn das Höchstgericht machte darin deutlich, dass die deutsche Verfassung auch Personen schützt, die sich von der Geschlechtsidentität her nicht als „männlich“ oder „weiblich“ identifizieren oder deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht „männlich“ oder „weiblich“ sind.

Auch in Österreich wird geklagt

Parallel dazu klagt Alex Jürgen*, der längstdienende österreichische Inter*-Aktivist und Mitbegründer des Vereins intergeschlechtlicher Menschen Österreich sowie der Plattform Intersex Österreich, auf Änderung des Geschlechtseintrags auf „inter“, „anders“ oder „x“. Damit versucht Alex Jürgen*, auch hierzulande eine zusätzliche Kategorie zu schaffen. Spätestens 2018 wird eine endgültige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs erwartet. Die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts gilt dabei als wegweisend.

Auch politisch hat die Diskussion zusätzlich an Fahrt gewonnen. So unterstützt nicht nur die Volksanwaltschaft die Forderungen von Alex Jürgen*, sondern auch die Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzleramts. Deren Stellungnahmen sind für spätere Gesetze von wesentlicher Bedeutung. Sie  hat sich klar für die Schaffung einer dritten Option ausgesprochen. Überraschend haben nun auch die Parlamentsparteien SPÖ und NEOS eine Initiative im Nationalrat unter Einbindung von Selbstvertretungsorganisation angekündigt. Die SPÖ hat bereits 2013 ein Positionspapier zum Thema Intergeschlechtlichkeit verabschiedet, das jedoch seither nicht sonderlich bekannt gemacht wurde. Es bleibt nur zu hoffen, dass mit der neuen Regierung die angekündigte parlamentarische Initiative nicht wieder in einer Schublade verschwindet.

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