Fußball-EM zwischen Partypatriotismus und Neofaschismus

Bilder vom Schaulaufen der gewaltbereiten Rechten auf der Straße gehören zur Fußball-Europameisterschaft (EM) der Männer beinahe ebenso sehr dazu, wie jene vom Wettkampf zwischen den Nationalteams am Feld. Wenn heute in Frankreich die Viertelfinal-Spiele beginnen, wird daran auch die Inszenierung des europäischen Fußballverbands UEFA wenig ändern können. Denn der Nationalismus ist, wie Moritz Ablinger meint, Teil dieses Wettbewerbs.

Die UEFA inszeniert ihre Männer-Europameisterschaft gerne als Event für die ganze Familie. Eine liebliche „Ceremony“ mit überdimensionierten Trikots der beiden Mannschaften vor jedem Spiel, laute Partymusik in den Pausen und eine strenge Bildregie sollen diese Atmosphäre schaffen. Ob es der UEFA bei der diesjährigen Europameisterschaft noch gelingt, eine solche Stimmung zu produzieren, hängt maßgeblich von der Finalphase ab. Denn in der Gruppenphase hat sich ein Teil des Publikums der Inszenierung der UEFA verweigert. Es sind die Geister, die die EM selbst rief.

Hooligans statt Partypatriot_innen

Es hätte eine riesige Party werden sollen. Schlachtenbummler_innen aus ganz Europa hätten auf französischen Straßen vier Wochen ein Fußballfest feiern sollen – trotz Terrorgefahr und Protesten der Gewerkschaften. Die Bilder aber waren andere. Denn statt den vermeintlich so entspannten Partypatriot_innen, die bis oben hin in ihren Nationalfarben gekleidet sind, dominierten bald weniger entspannte Hooligans das mediale Bild der Europameisterschaft in Frankreich.

Es begann schon am ersten Tag der EM. Am 10. Juni lieferten sich in der südfranzösischen Metropole Marseille Fans des lokalen Klubs, Olympique Marseille, Straßenschlachten mit mitgereisten Anhänger_innen des englischen Teams. Tags darauf kam es zu noch hässlicheren Bildern. Russische Hooligans überfielen vor dem Spiel der Russen gegen England Gruppen englischer Fans. Mindestens zwanzig von ihnen mussten ins Spital eingeliefert werden, ein Mann rang mehrere Stunden ums Überleben. Die Polizei reagierte anfänglich gar nicht auf die Prügeleien. Erst als sie in vollem Gange waren, setzte sie massiv Tränengas ein.

Das verhinderte allerdings keineswegs weitere Auseinandersetzungen. Nach dem Spiel kam es am Abend des gleichen Tags noch einmal zu Handgreiflichkeiten. Russische Fans war es gelungen, die Absperrungen zum englischen Fanblock zu durchbrechen und auf einige Engländer_innen loszugehen. Der englische Fan-Experte Geoff Pearson, der sich seit Jahrzehnten mit den Fans der Three Lions auseinandersetzt, schrieb im Telegraph: „Das war der gewalttätigste Zwischenfall, seit ich die englische Nationalmannschaft verfolge.“

Proteste gegen die strenge Bildregie der UEFA

Zu sehen war davon im Fernsehen nichts. Die strenge Regie der UEFA spart solche Bilder gerne aus. Zu sehen waren stattdessen Interviews und Bilder vergnügter Fans. Nach dem Spiel protestierten die deutschen Fernsehsender ARD und ZDF gegen das Bildregime der UEFA. Dabei ist das keineswegs neu. Schon bei der Männer-EM 2008 in Österreich und der Schweiz waren Bilder vom kroatischen Fanblock, der verbotene pyrotechnische Gegenstände gezündet hatte, dem Fernsehpublikum vorenthalten worden.

Sechs Tage später hatte die UEFA diese Möglichkeit nicht. Denn obwohl die kroatische Nationalmannschaft 2:1 gegen die tschechische führte, warfen ihre Fans in der 86. Spielminute pyrotechnische Fackeln auf das Spielfeld. Das Spiel musste unterbrochen werden, während die Bilder direkt auf den TV-Geräten der Zuseher_innen gesendet wurden.

Am Tag darauf wieder Zwischenfälle: Ungarische Ultras, die eigentlich keine Tickets für den Fanblock hinter dem Tor hatten, überwanden kurzerhand Ordner und Absperrzäune, um das Spiel schlussendlich doch von der Hintertortribüne zu verfolgen. Sehr präsent waren sie dort, in ihren einheitlichen schwarzen T-Shirts. Nachdem die Ungarn kurz vor Schluss die Partie ausglichen, war auch hier Pyrotechnik angesagt. Allerdings auf den Rängen, abseits der Kameras.

Regelbruch zwischen Nonkonformismus und Nationalismus

Dennoch scheitert die UEFA an ihrem Anspruch. Es gelang ihr während der ersten beiden Turnierwochen nicht, die EM als familientaugliches Spektakel zu inszenieren. Fußball ist anders als Theater, Oper oder das Kino. Das Spiel hält sich nicht an ein Drehbuch und ein Gutteil der Fans schon gar nicht an die Regeln von Fußballverbänden oder der Polizei.

Daran ist grundsätzlich nichts verkehrt. Die Ultrabewegung und eine Vielzahl an kritischen Fußballfans kritisieren seit Jahrzehnten die zunehmende Kommerzialisierung und Vermarktung des Fußballs. „Football is for you and me – not for fucking industry“, sinngemäß also „Fußball ist für dich und mich – nicht für die verdammte Industrie“, heißt es in diesen Kreisen immer wieder.

Doch im Zusammenhang mit der EM sind die Fans nicht als Widerstandskämpfer_innen zu sehen. Die russischen und ungarischen Fans fallen immer wieder mit nationalistischen Parolen auf. Der Chef der russischen Fanvereinigung, Alexander Schprygin, war in der Vergangenheit mehrfach mit dem Hitlergruß zu sehen gewesen. Auch gegen einige der ungarischen Fans laufen Ermittlungen, nachdem sie im Stadion den rechten Arm zum Gruß reckten.

Ohnehin war die EM Auflaufplatz der radikalen Rechten ganz Europas. Der polnische Fanblock war hinter dem Banner „Defenders of European Culture“ („Verteidiger der Europäischen Kultur“) zum Gruppenspiel nach Marseille marschiert. Beim Gegner aus der Ukraine fanden sich im Block einige Männer mit einschlägigen Tatoos, wie die Fernsehaufnahmen wohl eher unabsichtlich zeigten.

Ebenso wie der Partypatriotismus ist auch der Neofaschismus Bestandteil eines Wettbewerbs, der ein Wettkampf zwischen Nationen ist. Seit dem Aufkommen des Hooliganismus in den frühen 1980er Jahren war es bei fast jeder Fußballgroßveranstaltung zum Schaulaufen der gewaltbereiten Rechten gekommen. Wenn es eben auf dem Feld Deutschland gegen Frankreich heißt, gilt das auch auf den Rängen. Da hilft keine Inszenierung der UEFA oder kein noch so entspannter Partypatriotismus. Der Nationalismus ist Teil dieses Wettbewerbs.

Moritz Ablinger ist Redakteur von mosaik, studiert Politikwissenschaft und schreibt unter anderem für das Fußballmagazin ballesterer.

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