Einfache Gleichung: Islam = Terror → Muslimin = Terroristin

Seit August letzten Jahres, als die Berichterstattung über den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) begann die Medien zu dominieren, nehmen antimuslimische Übergriffe in Österreich stark zu. Selten macht sich der Boulevard die Mühe, zwischen Islam, Islamismus und Terrorismus zu unterscheiden. Die Folgen der islamophoben Zuschreibungen in Politik und Medien erfahren dabei unmittelbar diejenigen, bei denen folglich im Alltag nicht mehr zwischen MuslimIn, IslamistIn und TerroristIn unterschieden wird. Das betrifft ganz besonders Frauen, die als Musliminnen erkennbar sind, schreibt Dudu Kücükgöl.

Täglich liefert der IS hollywoodreife Gewaltbilder, die dann in unseren Medien die Runde machen. Während das Leid von Millionen von vertriebenen, hungernden und frierenden Menschen nur am Rande Erwähnung findet – und hauptsächlich dann, wenn sie dem bevorzugten Opfer-Täter-Bild entsprechen (Opfer = Nicht-MuslimInnen, Täter = MuslimInnen) – ergötzen sich die Medien an der professionell aufbereiteten Gewalt des IS. Dazu wird reißerisch geschrieben und getitelt: „Dschihad-Bräute“, „Islam-Krieger“, „salafistische Kindergärten“ oder „Terror-Bräute“. Ein Wochenmagazin titelte jüngst „Was den Islam gefährlich macht“ und bewies, dass auch liberale Medien nicht vor Islamophobie gefeit sind. Wenn es um das Thema Islam geht, werden rassistische Argumentationsmuster offenbar allzu leicht übernommen.

Die Terrorangst unserer MitbürgerInnen

Die gewachsene Terrorangst ihrer MitbürgerInnen und die „Islam ist das Problem“-Beschwörungen selbsternannter ExpertInnen spüren Österreichs MuslimInnen – ganz besonders Frauen – am eigenen Leib. Immer wieder berichten Musliminnen von Schlägen, Stößen, Tritten, Spuckattacken und Beschimpfungen. Manche sind darüber empört, aber eigentlich ist es doch eine logische, fast mathematische Folge: Wenn Islam mit Gewalt und Terror gleichgesetzt und zur Gefahr erklärt wird, werden muslimische MitbürgerInnen konsequenterweise als potenzielle, gefährliche TerroristInnen wahrgenommen – und auch so behandelt. Beispielsweise letzten Samstag, als eine Bombendrohung in einer U-Bahnstation einging. Da berichtete eine junge Muslimin auf Facebook: „Gerade wurde eine Bombendrohung für die U6-Station Handelskai durchgesagt. Paar Sekunden später erntete ich schon vielsagende Blicke und Kommentare wie: ‚Typisch Muslime‘ oder ‚Denen sollte man die Kopftücher wegfetzen‘.“ Man versetze sich kurz in die junge Frau, die eine Bombendrohung hört und die Angst, die sie verspürt. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie von einer Bombendrohung an den Ort hören, an dem Sie sich gerade befinden? Die junge Frau konnte sich aufgrund ihres Kopftuches den Luxus nicht leisten, „nur“ Angst vor der Bombe zu haben. Nein, als erkennbare Muslimin und vermutlich in Todesangst musste sie auch noch islamophobe Kommentare über sich ergehen lassen. Im Falle einer Bombendrohung und als erkennbare Muslimin oder erkennbarer Muslim muss man sich offensichtlich vor den Mitmenschen mehr fürchten als vor einer Explosion. Später schreibt die junge Frau: „Normalerweise würde ich auf sowas reagieren, nur wäre das in dieser Situation nicht klug gewesen.“ Ja, das hätte ich an ihrer Stelle auch nicht für klug gehalten.

„Nur“ angespuckt

Ähnlich die Schlussfolgerung zweier weiterer, junger Frauen am gleichen Tag: „Gerade wurden wir von zwei Damen mit ‚Moslem verpiss dich’ und anderen verbalen Ausdrücken von unseren Sitzplätzen in Wien Mitte verdrängt. Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, sind wir aufgestanden und gegangen.“ Stimmt, man will ja keine Schlagzeilen als verprügelte Muslimin machen – wenn man es damit denn überhaupt in die Zeitungen schafft.

Leider gibt es keine konsequente Verfolgung oder Dokumentation dieser Vorfälle. Für viele Frauen sind sie zu häufig und zu alltäglich, als dass sie sich die Mühe machen würden, zu einer Dokumentationsstelle zu gehen. Manche gehen zur Polizei, aber oft sind die Übergriffe nicht „heftig“ genug: „nur“ gestoßen, „nur“ angepöbelt, „nur“ rassistisch beschimpft, „nur“ angespuckt werden – das wird nicht mal als Delikte aufgenommen. Manchmal trägt man eben auch keinen blauen Fleck von einem Faustschlag davon, oder die Polizei relativiert ihn zu einer „Watsche“. Manchmal reichen die Verletzungen nicht für eine Anklage gegen die Täter, wohl aber für eine Anklage gegen das Opfer. Seit Wochen spuckt eine Frau im roten Mantel muslimische Frauen an, ohne dass die Polizei bisher eingegriffen hätte – obwohl mehrere Opfer Fotos und Videos der gleichen Dame vorlegen konnten. Nachweislich handelt es sich in mehreren Fällen um die gleiche Frau, die ihre Körperflüssigkeiten an muslimischen Frauen auslässt. Seit Wochen schaffte es die Polizei nicht, der verrückten Tante zu erklären, dass das nicht in Ordnung ist. Solche Fälle gibt es zu Hauf und natürlich sind auch muslimische Männer – wenn erkennbar oder ihre Religion bekannt – genauso betroffen. Selten vergeht ein Tag, an dem nicht von diesen Vorfällen zu hören oder zu lesen ist.

Was können wir tun?

Wir sollten nicht denken, dass wir solch einer gefährlichen gesellschaftlichen Entwicklung ohnmächtig gegenüber stehen. Für die Atmosphäre in unserem Land und für den sozialen Frieden ist jede Bürgerin und jeder Bürger selbst verantwortlich. Das Entmutigendste und Kränkendste, das Opfer von rassistischen Übergriffen erfahren, ist die Ignoranz der Mitmenschen. Das Fehlen von Mitgefühl, Unterstützung oder zumindest Anteilnahme in einer solch schrecklichen Situation.

So haben wir als Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ) gemeinsam mit vielen anderen Jugendorganisationen ein Zeichen gesetzt: „Schenk ein Lächeln für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Es geht darum, positive Zeichen zu setzen und daran zu erinnern, dass Jeder und Jede etwas zur Verbesserung der angespannten Lage und gegen die islamfeindliche Stimmung in unserem Land beitragen kann. Mehr denn je sind Solidarität und Aufeinanderzugehen notwendig.
Wenn du also selber ZeugIn einer rassistischen Beleidigung wirst, suche Augenkontakt mit der Person! Frag’, ob sie etwas braucht! Zeige wenigstens mit einer kleinen Geste deine Anteilnahme und dass es dir nicht gleichgültig ist, dass Menschen in unserem Land aufgrund ihrer Religion, Hautfarbe oder anderer Merkmale verachtet werden!

Die Notwendigkeit der Solidarität und das Bedürfnis gegen Hetze aufzutreten, hat auch zu erfreulichen Bewegungen geführt: So organisierte die Initiative Anticapitalista gemeinsam mit dem Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft eine Veranstaltung unter dem Titel „Solidarisch und offensiv gegen antimuslimischen Rassismus“, die auf sehr großes Interesse stieß. Auch die Anti-PEGIDA-Demonstrationen in Wien und Linz haben zu einer breiten Solidarisierung geführt: Antifaschistische, linke und muslimische Organisationen haben sich gemeinsam gegen Islamophobie und rassistische Hetze erhoben. Rassistische Gleichungen dürfen nicht aufgehen. Wenn auf den ersten PEGIDA-Demos in Wien und Linz die Zahl der GegendemonstrantInnen jene der Rechten um ein Vielfaches übertrifft, dann gibt es Grund zur Hoffnung.

Dudu Kücükgöl ist Vorstandsmitglied der Muslimischen Jugend Österreichs, forscht zu Islam und Feminismus und referiert zu den Themen Islam, Integration, Jugend und muslimische Frauen. Du kannst ihr auf Twitter folgen.

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