Ein paar Gedanken zur Verteilungsdebatte – Vorstellungen von Verteilungsgerechtigkeit TEIL 2

In Teil 1 dieses Kommentars wurde argumentiert, dass (verteilungs-)politische Konflikte auch auf der Ebene moralischer Diskussionen geführt und gewonnen werden, und dass es hilfreich ist zu verstehen wie sich konservative und linke Vorstellungen von Gerechtigkeit unterscheiden. In Teil 2 diskutieren wir den konservativen „Hausverstand“, die Annahmen auf denen er beruht, und wie er sich effektiv kritisieren lässt.

Wir können die radikale utilitaristische Position, die in Teil 1 dieses Beitrags vorgestellt wurde, etwas moderner und allgemeiner formulieren: Gesellschaftliche Verhältnisse und politische Entscheidungen beeinflussen die Lebenschancen oder „Wohlfahrt“ (wie auch immer definiert) verschiedener Menschen. Wenn wir die Wahl haben zwischen verschiedenen politischen Entscheidungen, etwa in der Steuer- oder Bildungspolitik, dann sollten wir „diejenige Entscheidung treffen, die die schlechtest gestellten möglichst gut stellt.“ (Diese Maxime wurde von John Rawls in den 1970er Jahren aufgestellt.) Solche Argumente betonen die Konsequenzen politischer Entscheidungen und die Rolle gesellschaftlicher Verhältnisse in der Bestimmung individueller Lebenschancen. Einer anderen Logik folgt hingegen der konservative Hausverstand:

„Was ich mit meinem Geld mache geht niemanden etwas an. Genauso wenig geht es jemanden etwas an, was ich mit jemand anderem vereinbare, wenn der/die einverstanden ist.“

„Ich habe mir das hart erarbeitet, und jetzt soll mir das weggenommen werden?“

„Sich um seine Kinder zu kümmern ist etwas Gutes. Warum soll ich bestraft werden, wenn ich ihnen
mein Geld gebe, statt es zu verschleudern?“

Diese Hausverstandsargumente sind Varianten des Locke’schen „Naturrechts auf Privateigentum.“ Es ist wichtig zu sehen, dass es bei keinem dieser Argumente um die Konsequenzen politischer Entscheidungen oder um die Wohlfahrt (wie auch immer definiert) verschiedener Individuen geht. Stattdessen sagen diese Argumente, dass gewisse Wege, zu Reichtum (oder Armut) zu kommen, gerecht sind, egal was das Ergebnis ist. Deswegen ist solchen Argumenten auch so schwer mit Fakten („die reichsten x% beziehen y% der Einkommen) oder voraussichtlichen Konsequenzen politischer Entscheidungen („Vermögenssteuern würden einer großen Mehrheit der Bevölkerung mehr bringen als kosten“) beizukommen. Der „Hausverstand“ kann darauf immer antworten, dass sich die Reichen ihren Wohlstand eben verdient haben.

Kritik des konservativen Hausverstandes

Ich glaube, dass diese konservativen Hausverstandspositionen letztlich auf impliziten Annahmen beruhen, die nicht zu halten sind. Insbesondere liegt ihnen eine implizite Annahme zugrunde, dass Ungleichheiten primär auf persönliche Entscheidungen und Anstrengungen zurückzuführen sind. Zudem bewegen sie sich in der Praxis oft auf undurchsichtige Weise zwischen moralischen und instrumentellen Argumenten hin und her. Instrumentelle Argumente beziehen sich auf die Konsequenzen politischer Maßnahmen – z.B.: „Vermögenssteuern würden Arbeitsplätze kosten.“ Das Idealbild dieser konservativen Gerechtigkeitsvorstellungen ist der einsame Schiffbrüchige, der sich auf seiner Insel aus eigener Kraft ein neues Zuhause aufbaut. Wenn jemand auf einer anderen Insel sich weniger aufbaut ist das deren/dessen Sache und impliziert kein Anrecht auf Umverteilung.

Der Haken an diesem Bild ist, dass die meisten von uns keine einsamen Schiffbrüchigen auf einer Insel sind. Nahezu nichts von dem, was wir besitzen, ist das Produkt unserer eigenen Arbeit. Das trifft auf verschiedenen Ebenen zu, und liegt teilweise so offen zutage liegen, dass es unsichtbar bleibt:

1. Das allermeiste, was wir besitzen, haben wir auf Märkten gekauft. Wenn wir nur das hätten, was wir selbst produzieren, hätten die allermeisten von uns nichts zu essen, kein Dach über dem Kopf, keine Kleidung, und sicher kein Smartphone. Wie viel wir kaufen können, hängt von Preisen und Löhnen ab, die das Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse und politischer Entscheidungen sind. Preise und Löhne sind nicht das Ergebnis unserer persönlichen Anstrengung. Und diese Preise und Löhne sind veränderlich und haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung ökonomischer Ungleichheit.

2. Darüber hinaus hätten wir auch nichts, wenn es nicht den Staat gäbe. Das fängt damit an, dass Privateigentum und Privatverträge erst durch den Staat geschaffen und garantiert werden. Das inkludiert aber auch all die anderen Leistungen des Staates, ohne die es keine Privatwirtschaft gäbe, wie etwa Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Gesundheitswesen…

3. Zuletzt werden unsere ökonomischen Chancen auch über eine Vielzahl anderer und subtilerer Kanäle bestimmt. Eltern, SchulkollegInnen, das soziale Umfeld in der Nachbarschaft und so weiter haben alle einen enormen Einfluss auf unser Leben und entziehen sich unserer direkten Kontrolle.

Gegenstrategien

Strategien, die konservative Metapher von den Schiffbrüchigen zu unterwandern, können sich auf verschiedenen Ebenen bewegen:

1. Wir können die historische Wandelbarkeit ökonomischer Ungleichheit und die Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern aufzeigen. Wenn etwa in Wirtschaftskrisen die Armut explodiert, ist das schwer als Ausbruch von Massenfaulheit zu rechtfertigen.

2. Wir können die Rolle politischer Entscheidungen aufzeigen, die zu Reichtum und Armut, wie es sie heute gibt, geführt haben und auf die Möglichkeit alternativer Entscheidungen hinweisen.

3. Wir können aufzeigen, in welchem Maße Lebenschancen schon bei der Geburt vorhersagbar sind, etwa durch Bildung, Einkommen und Migrationshintergrund der Eltern.

Auf einer anderen Ebene bewegt sich die instrumentelle Rechtfertigung konservativer Moralvorstellungen: „Wer soll sich denn da noch anstrengen, wenn mir soviel wegbesteuert wird.“ So eine instrumentelle Argumentation wird aber oft nicht durchgehalten, wenn sie offen diskutiert und widerlegt wird, sondern ein Rückzug auf die moralische Ebene findet statt. Versuche, den konservativen Hausverstand zu kritisieren, sollten darauf bestehen, (i) diese beiden Eben zu trennen, (ii) den instrumentellen Rechtfertigungen mit empirischen und logischen Argumenten begegnen, und (iii) den moralischen wie oben angedeutet.

Nach einem Doktoratsstudium in Berkeley forscht und lehrt Maximilian Kasy derzeit an der Harvard University. Er beschäftigt sich unter anderem mit ökonomischer Ungleichheit, sozialer Mobilität, Steuern, Arbeitsmärkten, Bildung und städtischer Segregation.

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