Dirty, difficult and dangerous – Im Kampf um die Rechte undokumentiert Beschäftigter

Heute ist Zoheir anerkannter Flüchtling mit Arbeitsmarktzugang. Das war nicht immer so. Während seines laufenden Asylverfahrens durfte er in Österreich nicht arbeiten. Da er dennoch dringend Geld zur Versorgung von sich und seiner schwangeren Frau brauchte, heuerte er bei einer Fassadenfirma an. Drei Wochen hat er dort gearbeitet, bekommen hat er 200 Euro. Zoheir arbeitete undokumentiert, ohne Papiere. Sein Arbeitgeber hat dies schamlos ausgenützt. Fälle wie Zoheirs beschäftigen die vor einem Jahr gegründete undok-Anlaufstelle, die undokumentierten KollegInnen Beratung und Unterstützung zur Verfügung stellt.

Über 20 Aufenthaltstitel gibt es in Österreich, mit den wenigsten davon darf man auch arbeiten. Restriktive Migrations- und/oder Beschäftigungsgesetze drängen die Betroffenen in informelle Sektoren und in undokumentierte Arbeit. Wer undokumentiert arbeitet, ist oft besonders von Ausbeutung betroffen. „Dirty, difficult, dangerous“ – so werden die Arbeitsbedingungen undokumentiert Arbeitender vielfach beschrieben: Überlange Arbeitszeiten, das Vorenthalten von Lohn und anderen Entgeltbestandteilen, gefährliche Arbeit ohne Kranken- und Unfallversicherung, mitunter auch körperliche Übergriffe sind an der Tagesordnung. Gerade aufgrund ihres oft prekären Aufenthalts oder (wenn überhaupt) nur eingeschränkten Zugangs zum Arbeitsmarkt sind undokumentiert Arbeitende besonders abhängig von ihren ArbeitgeberInnen. Das macht sie ausbeutbar und erpressbar.

Herr R. ist bei einem Autohändler für Umbauarbeiten beschäftigt. Eines Tages hat er einen Arbeitsunfall. Der Arbeitgeber drängt ihn, sich umzuziehen und lässt ihn privat ins Krankenhaus fahren, anstatt die Rettung zu rufen. Ja nichts soll auf einen Arbeitsunfall hindeuten. Im Krankenhaus dann das böse Erwachen für Herrn R.: er ist nicht krankenversichert! Sein Arbeitgeber hat die zugesagte Beschäftigungsbewilligung nicht eingeholt und Herrn R. auch nicht krankenversichert. Für Herrn R. eine Katastrophe: Er musste zwei Mal operiert werden und verliert zwei Zehen. Allein die Rechnung des Krankhauses beträgt 43.000 Euro

Ausbeutung geht uns alle an

Nicht nur Menschlichkeit und Solidarität gebieten es uns, uns für die betroffenen KollegInnen einzusetzen. Jede Umgehung von Arbeitsrecht, jede Bezahlung unter dem Kollektivvertrag, jede Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern gefährdet die Arbeitsbedingungen für uns alle und unser Sozialsystem. Lohn- und Sozialdumping geht nicht von den betroffenen ArbeitnehmerInnen aus. Die bewusste Ausnutzung undokumentiert Arbeitender erfolgt immer durch eine/n konkrete/n ArbeitgeberIn.
Mit den verschiedenen Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping hat die Politik in den vergangen Jahren ein umfassendes Regelwerk zur Bekämpfung von betrügerischen Praktiken am Arbeitsmarkt, wie Unterentlohnung und Sozialbertrug, geschaffen und stellt diese unter empfindliche Strafdrohungen. Was lange fehlte war der Lückenschluss: Wer kümmert sich um die Betroffenen? Wer hilft ihnen, ihre Rechte einzufordern? Wie können sie gestärkt werden um sich selbst  zu organisieren?

Arbeit ohne Papier, aber nicht ohne Rechte!

Hier setzt die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender (kurz, und wesentlich eingängiger: undok) an: Anfang 2014 öffnete die Anlaufstelle ihre Pforten im ÖGB-Haus am Wiener Johann Böhm Platz. Getragen wird sie von den Gewerkschaften Bau-Holz, GPA-djp, PRO-GE und vida, der Arbeiterkammer Wien, der ÖH und zahlreichen NGOs aus dem Bereich der MigrantInnenberatung und Betreuung von Opfern von Menschenhandel sowie einzelnen AktivistInnen.Die österreichische Beratungslandschaft bietet ein breites Angebot, sowohl im Bereich fremdenrechtlicher und MigrantInnenberatung, als auch bei der Durchsetzung von arbeits- und sozialrechtlichen Ansprüchen. Was bis dato fehlte war der Brückenschluss zwischen beidem und ein Angebot, das niederschwellig genug ist, um gerade die vulnerable und oft zu Recht vorsichtige Gruppe undokumentiert arbeitender MigrantInnen anzusprechen.

Egal ob mit Papieren, oder ohne: Arbeitsrechtliche Vorschriften, kollektivvertragliche Mindestlöhne und Sozialversicherungsschutz – diese Ansprüche stehen allen ArbeitnehmerInnen zu. Hier fungiert die undok Anlaufstelle zunächst als Clearingstelle und bietet eine mehrsprachige, kostenlose Beratung, in der zunächst die aufenthaltsrechtliche und arbeitsrechtliche Situation mit den Betroffenen besprochen wird und sie über ihre Rechte informiert werden. Mithilfe der beteiligten Gewerkschaften und der Arbeiterkammer werden offene Ansprüche geltend gemacht, notfalls auch vor Gericht. Die BeraterInnen begleiten die KollegInnen, die sich im Behördendschungel oft nur schwer zurechtfinden können auch bei Wegen zur Gebietskrankenkasse u.ä., damit ein fehlender Versicherungsschutz nachgeholt werden kann. Finanziert wird die undok Anlaufstelle neben den beteiligten Gewerkschaften und NGOs in erster Linie vom Sozialministerium.

Frau S. ist in einem Privathaushalt beschäftigt. Sie ist dort “Mädchen für alles“ und arbeitet sieben Jahre lang von früh bis spät, fast täglich. Ihr Lohn: Kost und Logis sowie eine Packung Zigaretten pro Monat. Nachdem Frau S. in ihr Heimatland zurückkehrt, wird sie mit dem Versprechen von 100 Euro Lohn pro Monat wieder zurück gelockt. Doch dieser Lohn wird ihr nie ausbezahlt. Mehr noch: es starten körperliche Übergriffe des „Hausherrn“.

Knapp 230 Personen haben sich bisher an die Anlaufstelle gewandt. Der erst davon war Zoheir. Seine Ansprüche konnten mit Hilfe von undok und der Gewerkschaft Bau Holz erfolgreich geltend gemacht werden. Auch Herr R. klagte mit Hilfe der undok-Anlaufstelle erfolgreich vor dem Arbeits- und Sozialgericht: Neben der rückwirkenden Versicherung und der Übernahme der Krankenhauskosten wurden ihm fast 15.000 Euro an ausstehendem Lohn zugesprochen. Im Fall von Frau S. wurden neben der arbeits- und sozialrechtlichen Beratung auch LEFÖ-IBF, die Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (ein Mitglied im undok-Verband) hinzugezogen, da sich der dringende Verdacht auf Menschenhandel stellte.

Individuelle Probleme – kollektive Struktur

Neben der individuellen Beratung und Unterstützung bei der Anspruchsdurchsetzung ist Teil des Erfolgs von undok, dass die Problematik undokumentiert Arbeitender über mehrere Kanäle auch auf eine kollektive Ebene gehoben wird. Pressearbeit, Vernetzung mit verschiedenen AkteurInnen in den Gewerkschaften und der vielfältigen NGO- und Beratungsszene, Workshops für Betroffene und MultiplikatorInnen sind ebenso fixer Bestandteil der Tätigkeit der Anlaufstelle wie die Formulierung politischer Forderungen. Es gilt die strukturellen Zusammenhänge im Kontext von undokumentierter Arbeit zu thematisieren und die Ausbeutung der betreffenden Person als systematisch zu erkennen. Gerade in den Gewerkschaften hat es seine Zeit gedauert, zu erkennen, dass die Unterstützung von KollegInnen, die ohne Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis in Österreich arbeiten, eine Seite derselben Medaille wie der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping ist. Umgekehrt schafft die arbeits- und sozialrechtliche Expertise der Gewerkschaft Synergien, die viel zu lange nicht genutzt wurden. Der Kampf für Verbesserungen kann nur gemeinsam gelingen, und damit ist mit der undok Ankaufstelle ein wichtiger erster Schritt gelungen.

Susi Haslinger ist Juristin und in der Rechtsabteilung, der sozialpolitischen Grundlagenabteilung der Produktionsgewerkschaft PRO-GE und bei der undok-Anlaufstelle tätig.

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