Der Männerbündler als Frauenrechtler

mosaik-Redakteurin Sonja Ablinger über falsch verstandene Frauenrechte und worüber Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz spricht, wenn er Werte sagt.

Die Werte haben zur Zeit Hochkonjunktur. Ringsum melden sich neuerdings Politiker (auffallend oft aus ÖVP- und FPÖ-Kreisen) und fordern von Flüchtlingen das Bekenntnis zu Gleichberechtigung von Mann und Frau ein. Denn wer in Österreich leben wolle, habe unsere Werte und unsere Leitkultur zu akzeptieren, heißt es aus der ÖVP erst vor wenigen Tagen wieder. Selbstbestimmung und Gleichberechtigung seien ‚unantastbare Grundpfeiler’, betonen Politiker jener Partei, die jüngst sich nicht genierten, eine hundertprozentige Männerregierung in Oberösterreich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die ‚Leitkultur’ – so bestätigte sich – verträgt offenbar ziemlich viel Männerbündelei. Die Berichterstattung über die Angelobung der oberösterreichischen Mannesregierung war ein kleines Desaster und für die ‚Wertedebatte’ ein verstolpertes Eigentor.

Kein einziger Fall

Vielleicht war das mit ein Grund, warum ÖVP-Minister Sebastian Kurz den Ball neu auflegte – und sich dabei verdribbelte. Der Integrationsminister meldete sich zu Wort und kritisierte, dass einige Kompetenzchecks des AMS Wien für Frauen und Männern getrennt abgehalten werden. Er sprach von ‚absurden’ Entscheidungen und drohte mit Sanktionen, sollten gemischte Kurse geschwänzt werden. AMS-Vorstand Johannes Kopf widersprach daraufhin Kurz deutlich und stellte klar, dass frauenspezifische Angebote eine jahrzehntelange Praxis des AMS und für manche Zielgruppen besonders sinnvoll und erfolgreich seien. Er wies auch eine vermeintliche Verweigerung von Kursteilnehmern zurück: “Es gab keinen einzigen Fall, wo sich ein Kunde beschwert hätte, er ginge nicht in einen Kurs, weil dort eine Frau drinnen sitzt.

Vorgeschobenes Argument

Sebastian Kurz beweist, dass er von Arbeitsmarktpolitik wenig Ahnung hat und ihm Frauenrechte tatsächlich wenig Anliegen sind. Ganz im Gegenteil geniert er sich nicht, mit dem vorgeschobenen Argument der Gleichstellung (“keinen Platz für falsch verstandene Toleranz”) mit Sanktionsdrohung gegen Flüchtlinge – hier also auch gegen frauenpolitische Maßnahmen – vorzugehen. Der hohe Anteil von Frauen in Niedriglohnsektoren und die größere Armutsgefährdung von Frauen zeigen aber im Gegenteil, dass es in Österreich frauenspezifische Maßnahmen im Bereich Arbeitsmarkt dringend braucht. Mit einig wenig Interesse an arbeitsmarktpolitischer Gleichstellungspolitik hätte sich der Minister seine Rempelei gegen Flüchtlinge und gegen frauenspezifische Angebote des Arbeitsmarktservices ersparen können. Nachfragen hätte genügt.

Gezielte Frauenförderung notwendig

Es geht nämlich nicht um die künstliche Schaffung von Unterschieden, sondern um die Anerkennung unterschiedlicher Ausgangslagen. Gezielte Beratung und Förderung von Frauen ist notwendig, gerade weil in Herkunftsländern der Arbeitsmarkt den Frauen verschlossen bleibt oder nur sehr eng offensteht. Eine rasche Anerkennung von Qualifikationen und damit ein Kompetenzcheck für asylberechtigte Frauen ist notwendig, wenn wir deren spezifische Situation nicht nur wahr-, sondern auch ernstnehmen wollen. Dazu können phasenweise auch spezifische Frauenmaßnahmen zielführend und wertvoll für Berufs(wieder)einsteigerinnen sein. Das müsste ein Minister, der immer von Werten spricht, eigentlich verstehen können.

Arbeitsmarkt öffnen

Was er auch nicht zu verstehen scheint: Wichtig wären vielmehr längerfristige und frühzeitige Unterstützungsangebote. Problematisch ist aber, dass subsidiär Schutzberechtigte und Asylberechtigte erst mit ihrer Anerkennung Zugang zum Arbeitsmarkt haben. AMS-Angebote greifen daher erst nach Abschluss des Asylverfahrens. Sprachkurse, Informationen, Berufsberatungen und Kompetenzchecks müssten jedoch ab dem ersten Tag und ohne lange Wartezeiten angeboten werden. Der rasche Arbeitsmarktzugang für Schutzsuchende im Asylverfahren und damit die Chance auf Eigenständigkeit durch Berufstätigkeit – das ist ganz zentral ein Thema der Gleichstellung. Offenbar ist es aber keines für Außenminister Kurz.

Asyl auf Zeit nimmt Perspektiven

Vor diesem Hintergrund ist auch die geplante Asylgesetznovelle – („Asyl auf Zeit“) eine neu geplante Hürde für Gleichstellung. Tritt dieses Gesetz in Kraft, erschwert es vielen Frauen die legale Flucht in ein sicheres Land. Der angedachte generell befristete Asylstatus wird sich außerdem integrationshemmend für die Beschäftigungsaufnahme auswirken. Zu befürchten ist nämlich, dass mit dem befristeten Aufenthalt die Eingliederung am Arbeitsmarkt erschwert wird und anerkannte AsylwerberInnen am Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche vor neuen Schwierigkeiten stehen, weil potenzielle ArbeitgeberInnen und VermieterInnen sich durch einen unsicheren Aufenthaltsstatus des Bewerbers oder der Bewerberin von einem Vertragsabschluss abhalten lassen. Die stets geforderte „Integration“ der Asylberechtigten wird mit dieser Regelung schwerwiegend beeinträchtigt (wie unter anderem auch der Österreichische Frauenring in seiner Stellungnahme ausgeführt hat) Im Denken von Sebastian Kurz haben diese Gefahren und Hürden für Schutzsuchende keinen Platz.

Kurz befeuert „Wir gegen sie“

Um Frauenrechte, Gleichstellung, ökonomische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit geht es Kurz ganz sicher nicht. Von Maßnahmen gegen steigende prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Einkommensungerechtigkeit, weibliche Armut oder Ausbau von Gewaltschutzeinrichtungen redet er nämlich nicht. Er wärmt vielmehr die alte ‚Leitkulturdebatte’ wieder auf und benützt sie als Schablone, um eine ‚wir gegen die’-Debatte zu befeuern. Verquickt mit Strafdrohungen beschwört und konstruiert er eine geschlossene ‚Wertegemeinschaft’. Und die verläuft nach dem ewig alten Muster: Man stellt die ‚Werte’ den Gesetzen gleich, die jeder und jede, die hier leben will, zu akzeptieren habe.

 Die Leitkulturdebatte verdeckt dabei bewusst zwei zentrale Punkte: Alle, die hierzulande leben, müssen sich an die Gesetze halten. Wenn nicht, haben sie mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen. Und: viele Menschen kommen aus Gegenden, in denen Menschenrechte und Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Sie fliehen auch gerade deswegen. Sie sind froh, dass sie hier Rechte haben, die ihnen in den Heimatländern vorenthalten werden.

Rechtspopulistisches Manöver

Die faktenbefreite Empörung von Sebastian Kurz ist ein Lehrbeispiel dafür, worum es im ‚Wertediskurs’ eigentlich geht: nicht mehr Gesetze oder Verfassung sollen unser Zusammenleben bestimmen, sondern die Zustimmung zu einer diffusen ‘Leitkultur’, die keinen Widerspruch verträgt. Ganz nach dem Motto: wir bestimmen wer die Guten sind. Sein Postulat der ‚falsch verstandenen Toleranz’ fragt darum nicht, was die begünstigenden, was die hemmenden Voraussetzungen sind, damit Menschen mit unterschiedlicher sozialer, geographischer und ethnischer Herkunft und kultureller Prägung sich in unserer Gesellschaft beteiligen und gegenseitig achten. Um das zu beantworten, müsste er echtes Interesse aufbringen. Das aber stört ihn bei seinen rechtspopulistischen Übungsmanövern. Frauenrechte sind dabei nur der Spielball.

Sonja Ablinger ist Mosaik-Redakteurin, ehemalige SPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat und Lehrerin an einer Neuen Mittelschule in Linz. Außerdem ist sie Vorsitzende des Österreichischen Frauenringes

Autor

 
Nach oben scrollen