Der 1. Mai – Gute Arbeit gibt es nicht geschenkt

Wann wir aufstehen, was wir essen, welchen Urlaub wir uns leisten können und wieviel Bildung unsere Kinder einmal haben werden. Zu einem großen Teil drehen sich unsere Leben darum, was, wie und wofür wir arbeiten bzw. ob wir überhaupt arbeiten. Kaum eine andere politische Frage hat mehr Einfluss auf unser Leben als die, wie wir Wirtschaft und Arbeit organisieren, verteilen und bezahlen.

Daran erinnert uns der 1. Mai. Genauso wie an die Aufgabe progressiver Politik: den Kampf für die Rechte der breiten Masse, die ohne starke gemeinsame Stimme der Willkür der jeweiligen Machteliten ausgeliefert ist. Im Grunde ist das auch ihre einzige Daseinsberechtigung. Nehmen Gewerkschaften und Politik diese Rolle heute noch wahr? Was sie hinter verschlossenen Türen tun, weiß man nicht. Sie sagen uns, dass die Macht des „internationalen Kapitals“ mittlerweile zu mächtig ist, um in Lohnverhandlungen und den heutigen politischen Koalitionen noch groß etwas verändern zu können. Wäre das wirklich so, müssten sie dann nicht ihre Selbstauflösung bekanntgeben?

Die Zukunft wartet nicht. Schon in den nächsten zwanzig Jahren könnten bis zu 50 Prozent aller heute von Menschen besetzten Arbeitsplätze automatisiert werden. Während große Konzerne dadurch immer höhere Renditen abschöpfen, lässt man die große Mehrheit in dem Glauben, im Wettbewerb mit den Maschinen immer größere Zugeständnisse bei ihren Rechten und ihrer Entlohnung machen zu müssen. Dabei muss genau das Gegenteil unser Ziel sein: auf unserer Suche nach guter Arbeit und einem guten Leben für alle müssen die Menschen ihren gerechten Anteil an den, von ihnen erwirtschafteten Gewinnen erhalten und ihre Lebenszeit in der Arbeit – trotz schon lange fälliger Lohnerhöhungen – radikal verkürzen können.

Arbeitszeitverkürzung – ein bewährtes Tabu

Arbeitszeitverkürzung ist Konsens unter progressiven Kräften. Sie ist auch kein neues Thema. Bis in die 1970er Jahre wurde die Arbeitszeit in Österreich und Europa sukzessive verkürzt. Hier erinnert uns der 1. Mai daran, dass dieses Ziel noch nie ohne große soziale Kämpfe und Streiks erreicht wurde. Wenn vermeintlich progressive Politik heute also behauptet, dass sie unter den herrschenden Machtverhältnissen keine weitere Verkürzung der Arbeitszeit verhandeln kann, sei sie daran erinnert, dass das noch nie anders war. Wie naiv wären wir, würden wir erwarten, dass uns die unterstützen, die die größten Gewinne aus dem heutigen System ziehen. Nein, Arbeitszeitverkürzung braucht den Mut, trotz aller Widerstände dafür zu kämpfen und alle verfügbaren Mittel des Arbeitskampfes einzusetzen. Natürlich ist die Macht des Kapitals nicht auf unserer Seite, aber gegen die Macht von Streiks hat sie auch keine Chance.

Wer bestimmt, was Arbeit ist?

Im Spagat zwischen Burnout und Arbeitslosigkeit sollten wir nicht vergessen, dass das Gelingen unserer Gesellschaften fundamental von nicht entlohnter Arbeit und Zeit für Kindererziehung und Pflege, im Haushalt und im Ehrenamt abhängt. Meist werden diese Arbeiten von Frauen übernommen, die dafür kaum oder nicht entlohnt, geschweige denn wertgeschätzt werden. Auch deshalb müssen wir die Begriffe Arbeit, Zeit und Leistung neu denken und bewerten. Wie können wir unsere Arbeitswelt mit den sozialen und ökologischen Bedürfnissen der Menschen in Einklang bringen?

Ohne einer grundlegenden Veränderung unseres Wirtschaftssystem, das rein auf permanentes monetäres Wachstum ausgerichtet ist, wird das nicht funktionieren. Denn Wirtschaftswachstum allein sagt nicht viel über unseren Wohlstand. Höchste Zeit, uns deshalb auch zu einem demokratischen Rahmenwerk mit objektiven und messbaren Zielen zu bekennen, das unseren sozialen Wohlstand abbildet: Chancengleichheit, soziale Mobilität, gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen und vieles mehr.

Umverteilung ersetzt nicht das Streben nach Gerechtigkeit

Mehr als ein Viertel unserer Bevölkerung kann sich in diesem System nicht aus eigener Kraft vor Armut schützen, obwohl die meisten von ihnen einen Job haben. Fast gleicht es da einem Eingeständnis der totalen Niederlage, dass sich die Politik noch immer damit begnügt, dieses Problem mit massiven staatlichen Transferleistungen zu kaschieren.

So leben wir in einem doppelt unfairen System. Erst legitimiert die Politik in der Wirtschaft das Recht des Stärkeren, durch das ein paar Wenige unglaublich reich werden und gleichzeitig immer mehr trotz Arbeit verarmen. Im zweiten Schritt nimmt die gleiche Politik den Reichen wieder etwas von dem weg, das sie gerade – angeblich gerechtfertigt – verdient haben und steckt es den anderen als Almosen zu. So funktioniert Umverteilung heute. Dass so aber auf Dauer keine Gruppe glücklich wird, liegt auf der Hand. Denn nachträgliche Umverteilung kann zwar große Ungerechtigkeiten mildern, doch Probleme zu kaschieren heißt nicht, sie zu lösen.

Der Kampf um unsere Arbeitsrechte ist mit dem heutigen Sozialstaat, bei all seiner Wichtigkeit, also noch lange nicht gewonnen. Ziel progressiver Politik muss deshalb immer sein, bereits im ersten Schritt – in der primären Verteilung – faire Lösungen zu generieren, also Arbeit (selbstständig oder unselbstständig) so zu entlohnen, dass davon mindestens ein gutes Leben möglich ist.

All das wird kein leichtes Unterfangen und im Moment stehen die Machtverhältnisse gegen uns. Doch welcher Tag könnte uns besser daran erinnern, dass wir schon viel unwahrscheinlichere Erfolge errungen haben, als der 1. Mai?

Fayad Mulla engagiert sich für internationale Entwicklungszusammenarbeit und ist Vorsitzender von Der Wandel. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Verteilungsgerechtigkeit sowie Fragen zur Zukunft der Arbeit. Außerdem ist er Redakteur bei mosaik.

Dani Platsch ist Regionalökonomin und arbeitet insbesondere zu den Themen Globalisierung, Strukturwandel und Organisationskultur. Sie ist politische Geschäftsführerin von Der Wandel und Redakteurin bei mosaik.

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