CETA ist nicht alles: Was die EU Ecuador gerade aufzwingt

TTIP und CETA sind in aller Munde – in der Zwischenzeit schließt die EU einen Handelsvertrag mit Ecuador. Cecilia Chérrez macht deutlich: auch dieser Freihandelsvertrag bedient die Interessen der Konzerne und ecuadorianische AktivistInnen haben schon lange vor diesem Vertrag gewarnt. 

Die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens zwischen Ecuador und der Europäischen Union am 11. November 2016 schloss ein Kapitel des Andenstaates, der sich bislang den rigidesten neoliberalen Fesseln entzogen hatte. Paradox ist daran, dass dies unter einer Regierung geschieht, die aus den Aufständen gegen die Freihandelszone für die Amerikas (FTAA auf Englisch, ALCA auf Spanisch) und gegen den bilateralen Freihandelsvertrag mit der EU vor mehr als zehn Jahren hervorging. Die Kämpfe richteten sich gegen die transnationalen Konzerne und für die Verteidigung der „nationalen Souveränität” als Voraussetzung jeglicher Veränderung des politischen und ökonomischen Systems.

Widersprüche in Ecuador

Der Weg, den die ecuadorianische Regierung verfolgte, um zu dieser Unterzeichnung zu kommen, ist voller Widersprüche. Die Verhandlungen wurden anfangs von Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien geführt, wobei die bolivianische Regierung aufgrund der bestehenden wirtschafts- und handelspolitischen Ungleichheiten einen Sonderweg durch besondere und ausgewogene Behandlung verfolgte. Im Jahr 2009 verließ die ecuadorianische Regierung die Verhandlungen mit dem Argument, gegen einen Freihandelsvertrag zu sein – um aber nach einiger Zeit die Verhandlungen wieder aufzunehmen.

Das ließ Bolivien mit dem Wunsch nach handelspolitischen Präferenzen isoliert und erschwerte einen Prozess der subregionalen Integration innerhalb der Andengemeinschaft, bestehend aus Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru. Ecuador wurde demgegenüber in den Schlepptau seiner zwei Nachbarn Kolumbien und Peru genommen, die beide eine lange neoliberale Geschichte haben und bereits Freihandelsverträge mit den USA abgeschlossen haben. Tatsächlich ist die Unterzeichnung des Vertrags durch den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa am 11. November nicht mehr als eine Fortsetzung des bereits abgeschlossenen Vertrags zwischen der EU, Kolumbien und Peru.

Ein weiterer Aspekt ist die Unvereinbarkeit dieses Vertrags mit der Verfassung Ecuadors von 2008. Denn diese ist bekannt für die Sicherung umfassender Rechte, inklusive ökologischer Rechte. Eine ganze Schar von FreihandelsunterstützerInnen hat sich daran gemacht, den Vertrag mit der Verfassung abzugleichen. Später wurde klar, dass hier Rechtsnormen angenommen wurden, die zwar klar gegen die Verfassung verstoßen, die aber den Weg zur Annahme des Freihandelsabkommens ebneten. So wurde durch die spezifischen Bestimmungen des Vertrags zum Beispiel die Privatisierung von Wasser ermöglicht, um europäischen InvestorInnen den Zugang zu Land und Wasser zu ermöglichen.

Die Rolle von Präsident Correa

Für Einige hat Präsident Correa mit diesem Freihandelsvertrag die sozialen Bewegungen in Ecuador verraten; für Andere ist er ein geschickter Stratege, der die kapitalistische Entwicklung des Landes unter Verwendung eines linken Diskurses vorantreibt. Dabei spaltet und kriminalisiert er jene Organisationen, die seine Politik in Frage stellen. Es ist eine Frage der Perspektive. Correa hatte die Fähigkeit, die Bevölkerung mit Umverteilungsmaßnahmen zu verführen, deren Mittel aus dem Geldregen der hohen Erdöleinnahmen kamen. Dabei wurde er von einem mächtigen Propagandaapparat unterstützt. Die Ölpreise sind inzwischen eingebrochen, die Arbeitslosigkeit steigt wieder – wie in den Jahren vor Correas Präsidentschaft. Gleichzeitig werden die enorme Auslandsverschuldung – China ist inzwischen der zweitgrößte Gläubiger – und skandalöse Korruptionsfälle, in die auch hohe Regierungsfunktionäre verstrickt sind, sichtbar.

Leider wurden die vielen Stimmen – oft von prominenten Personen und AktivistInnen – die vor dem Handelsvertrag gewarnt haben, international nicht gehört. Das schließt auch Teile der europäischen Linken mit ein. Damit wurde ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen den Freihandelsvertrag und seine zerstörerische Logik unmöglich gemacht.

Strukturelle Ungleichheit in der Landwirtschaft

Die Strukturen der Reichtumskonzentration in Ecuador blieben bisher unangetastet. Die den BäuerInnenorganisationen zu Beginn der Regierung im Jahr 2006 versprochene „Agrarrevolution“ wurde wiederholt verschoben. Forderungen nach einer Zügelung des Extraktivismus wurden kriminalisiert. Zudem wird das in der Verfassung festgeschriebene Ziel der Ernährungssouveränität für die gesamte Bevölkerung Ecuadors durch den Freihandelsvertrag mit der EU abgeschafft.

Die EU ist ein landwirtschaftlicher Riese und die Landwirtschaft wird weitgehend von der Agrarindustrie beherrscht, die zum Großteil von Subventionen für Produktion und Exporte profitiert; insbesondere sind das der Milch-, Zucker-, Getreide- und Fleischsektor sowie die weiterverarbeitende Lebensmittelindustrie. Ganz anders läuft dies in Ecuador. In dem Land mit 16 Millionen EinwohnerInnen arbeiten zwischen 900.000 und 1,5 Millionen Menschen alleine im Milchsektor. Die meisten von ihnen sind kleine und mittlere ProduzentInnen; unter ihnen wiederum ein bedeutender Anteil an Frauen, die den ländlichen Familienbetrieben vorstehen. Der Handelsvertrag zwingt sie, mit den hochsubventionierten europäischen Milchprodukten zu „konkurrieren“, was schlicht unmöglich ist.

Die Auswirkungen des Vertrages auf Ecuador

Eine Untersuchung der NGO Acción Ecológica über die Folgen des Freihandelsvertrags auf den ländlichen Sektor zeigt die negativen Auswirkungen der Tier-, Hygiene- und Pflanzenschutzmaßnahmen auf die kleinbäuerliche Wirtschaft Ecuadors: seine strikten Regeln können etwa von kleinen KäseproduzentInnen schlicht nicht eingehalten werden. Die EU begründet die strikten Vorschriften damit, dass die Produkte der Land- und Viehwirtschaft ohne Kontrollen die Grenzen der Länder überschreiten würden. In vorauseilendem Gehorsam hat Ecuador bereits begonnen, die Maßnahmen anzuwenden.

Eine andere Bedrohung besteht im Bereich des Saatguts. Das zur Verabschiedung anstehende neue Saatgutgesetz fordert, das gesamte in Umlauf befindliche Saatgut zu zertifizieren und zu registrieren. Das schließt die Mehrheit des Saatgutes der KleinbäuerInnen aus. Es ist nicht auszuschließen, dass auch dieses Gesetz auf eine Forderung der EU antwortet.

Profitieren wird eine Handvoll großer AgrarexporteurInnen und transnationaler Konzerne, unter ihnen auch einige europäische. Im Fall von Bananen (nach Erdöl der zweitwichtigste Exportsektor Ecuadors) sind etwa fünf von den zehn größten Exporteuren transnational: zwei sind US-amerikanische Konzerne (Dole und Chiquita), zwei russisch, einer deutsch und fünf ecuadorianisch. In Bezug auf Subventionen im industriellen Fischereisektor gehört ein Tochterunternehmen der spanischen Firma Isabel Conservas Garavilla zu den fünf größten Fischereiunternehmen des Landes.

Diese Sektoren – außerdem die Krabbenzucht und Brokkoliproduktion – profitieren vom Freihandelsvertrag. Und sie sind verantwortlich für erhebliche sozial-ökologische Konsequenzen wie die Zerstörung von Wäldern, von Mangroven, von Fischvorkommen und großen Teilen der Nahrungsmittelproduktion sowie für die Verschmutzung der Umwelt – aufgrund der Nutzung immenser Mengen von Agrochemikalien.

Man könnte sagen, das ist alles nicht neu. Der Handelsvertrag produziert wenige und mächtige GewinnerInnen und viele VerliererInnen. Der Freihandel zerstört die lokale Wirtschaft und unterwirft die Länder und ihre Territorien seinen strengen Regeln. Das wissen wir in Lateinamerika nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung Mexikos – jenem Land, das im Namen des Neoliberalismus am stärksten zerstört wurde. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass Ecuador von einer Regierung in dieses Schicksal geführt wird, die sich selbst als links versteht. Correa hat mehrere Bücher zu den Trugschlüssen des Freihandels geschrieben und weiß bestens über seine Auswirkungen Bescheid. Ist das also Verrat? Nein, es ist lediglich die fast unendliche Fähigkeit zur Täuschung.

Cecilia Chérrez arbeitet für die ecuadorianische Organisation Acción Ecológica, wo sie für sozial-ökologischen Alternativen eintritt. 

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