Care Revolution Wien: Wie linke AktivistInnen Arbeitskämpfe (mit)organisieren können

Im Wiener Gesundheitsbereich gibt es beinahe täglich neue Skandale – aber im letzten Jahr hat sich Widerstand formiert. Der Aktivist Florian Weissel erzählt, wie die parteiunabhängige Basisinitiative CARE REVOLUTION WIEN entstanden ist und was Linke von ihr lernen können.

Seit Jahren gärt es im von Krisen und Einsparungen gebeutelten Gesundheitsbereich. Aus der Erfahrung mit der erfolgreichen Organisierung von Beschäftigten im Rahmen der Care Revolution Wien kann auch für Kämpfe in anderen Branchen einiges erlernt werden.  Proteste und Bewegungen entstehen selten aus dem Nichts und greifen jedenfalls auf bereits bestehende Erfahrung und Erlerntes zurück – so auch in diesem Fall. Zwei Wurzeln seien hier exemplarisch erwähnt: Seit 2010 geben AktivistInnen verschiedener Organisationen (RSO, ASt) gemeinsam mit kritischen KollegInnen oppositionelle „Betriebsflugblätter“ heraus. Mittlerweile gibt es „Klartext“ und „Herzschlag“ in allen großen Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV). Zwischen 2012 bis 2014 kämpften linke Betriebsrät_innen im AKH Wien mit der „Initiative Übernahme“ für die Übernahme von Kündigung bedrohter Leiharbeits-KollegInnen (Reinigungskräfte, AbteilungshelferInnen, Krankenträger). Beide Initiativen ermöglichten es, dass enge Beziehungen zu kämpferischen KollegInnen geknüpft werden, die ihre wertvolles Wissen über Probleme und Herausforderungen im Arbeitsalltag in die politische Arbeit eingebracht haben. Dies und die jahrelangen Aktivitäten waren wesentlich für spätere Entwicklungen.

Krisen im Gesundheitsbereich

Anfang 2015 ist eine EU-Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt wurden, die die Arbeitszeit von ÄrztInnen mit maximal 48 Stunden pro Woche begrenzt. Gleichzeitig gab es massive Einsparung von ÄrztInnenposten. Betroffene wehrten sich und konnten einen respektablen Ausgleich des entstandenen Gehaltsverlusts aushandeln. Um Personalmangel auszugleichen, wurden ärztliche Tätigkeiten auf das Pflegepersonal übertragen, das selbst aber schon durch Personalmangel und Überbelegung von Stationen überlastet ist. Ausgehend von der Social-Media-Kampagne CaREvolution eines kämpferischen Betriebsrats, zeigten PflegerInnen österreichweit ihren Ärger und versuchten, Druck auf die Verhandlungen aufzubauen.

Die Gründung der Initiative

Auch in Wien schlug Jammern über Verschlechterungen bei einigen KollegInnen in Bereitschaft zur Organisierung um. Die zuständige Gewerkschaft setzte keinerlei Initiative um effektiven Widerstand zu leisten.

Politische AktivistInnen luden KollegInnen aus dem Pflegebereich zu einem offenen Vernetzungstreffen ein, zu dem Pflegekräfte aus allen großen Krankenhäusern kamen. Das Treffen sollte Beschäftigten Raum für ihre Wut und den Austausch über Probleme – auch in konkreten Spitälern und Stationen – bieten. Schnell zeigte sich aber, dass die Probleme in allen Spitälern dieselben waren, mediale Aufmerksamkeit und kämpferische Aktionen wurden als notwendig erachtet. Die PflegerInnen selbst wollten sich monatlich als Care Revolution Wien zur Vernetzung treffen und via Facebook auf ihren Kampf und ihre Forderungen aufmerksam machen. Gefordert wurden Lohnerhöhungen, Mitbestimmungsmöglichkeiten und Personalaufstockungen. Diskutiert wurde auch die Aufforderung des gemeinsamen Vorgehens aller Berufsgruppen im Gesundheitsbereich – so entschlossen sich die PflegerInen, die wenige Tage später statt findende Demonstration der ÄrztInnen solidarisch zu begleiten und dort  eigene Anliegen sichtbar zu machen.

Organisierung und Strukturen

Die Gründung der Initiative kam zum richtigen Zeitpunkt – das zeigte sich im großen Interesse an Care Revolution Wien sowohl online als auch dort wo engagierte KollegInnen am Arbeitsplatz mobilisierten. Bei regelmäßigen Vernetzungstreffen wurden Aktionen und Forderungen gemeinsam ausgearbeitet. Erfrischende Ideen von PflegerInnen wurde mit dem Know-How langjähriger AktivistInnen kombiniert – ohne dass letztere anderen Ideen den Raum genommen hätten. Care Revolution Wien war offen für neue UnterstützerInnen und Ideen, gemeinsame Grundlage war das grobe Gründungsprogramm, an dem weiter gearbeitet wurde. Praktisches wie Flyer- und Plakatieraktionen wechselten sich mit strategischen Diskussionen über nächste Schritte oder den Umgang mit der Gewerkschaft ab. Für kurzfristige Entscheidungen gründete sich eine Koordinierungsgruppe, bestehend aus VertreterInnen aller Spitäler und den Redaktionsmitgliedern der Betriebsflugblätter „Herzschlag“ und „Klartext“.

Flashmobs und Demonstrationen

Ein großer Erfolg war der Flashmob beim Mai-Aufmarsch der SPÖ 2015. Unter dem Motto „Pflege am Boden“ legten sich über 100 PflegerInnen und linke AktivistInnen vor den Zug der SPÖ Leopoldstadt, den Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely anführte. Wir blockiertem den Zugang zum Rathausplatz für einige Minuten. Bei unserem Einzug Richtung Bühne konfrontierten wir Bürgermeister Häupl, ÖGB Präsident Foglar und anderen SP-Spitzen lautstark mit unseren Forderungen. Wenige Tage später warnte Foglar plötzlich vor einem Aufstand der Pflege. Am Internationalen Tag der Pflege 2015 gelang eine gemeinsame Mobilisierung mit der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (jetzt Younion), an der sich 200 Menschen beteiligten. In den Medien wurde zunehmend über die Probleme der Pflege diskutiert, VertreterInnen der ÄrztInnen sprachen sich für Verbesserungen im Pflegebereich aus und die Gewerkschaft kündigte Verhandlungen für mehr Personal und Lohnerhöhungen an. Im September folgte eine Demonstration mit 700 TeilnehmerInnen – etliche PflegerInnen hielten Reden und traten mit Namen und Gesichtern für ihre Anliegen ein. Mit der ÄrztInnengewerkschaft Asklepios gingen wir ein Monat später auf die Straße um das Problem des Personalmangels anzuprangern.

Demobilisierung der Gewerkschaft

Die Gewerkschaft rief nach dem Druck der Demonstrationen Dienststellenversammlungen ein, wo weitreichende Forderungen aufgestellt wurden. Dies führte aber auch zur Demobilisierung weil Aktionen die nun aufgenommenen Verhandlungen mit den ArbeitgeberInnen gestört hätten. Nachdem viele KollegInnen der Gewerkschaft einen Vertrauensvorschuss gewährten, wurden keine weitere Aktionen geplant.

Der Zickzack-Kurs der Gewerkschaften führt zur Demobilisierung der Bewegung. Zwar hat es eine Petition, die von 2000 KollegInnen unterzeichnet wurde und kleinere inhaltliche Veranstaltungen zu gewerkschaftlichen Rechten und dem Personalvertretungsgesetz gegeben. Mit Ausnahme eines neuerlichen Flashmob am 1. Mai gab es jedoch keine kämpferischen Aktionen mehr. Eine Situation, die aus linker Sicht alles andere als zu begrüßen ist, aber mit der ehrlich umgegangen werden muss.

Geduld, Einblick und Augenhöhe

Aus dieser Erfahrung kann die Linke zumindest drei Schlüsse ziehen:

1) Es ist wichtig, einen langen Atem zu haben und wenn möglich schon präsent zu sein, bevor Konflikte entstehen. Es ist schwierig, im Nachhinein zu versuchen auf bereits ausgebrochene Bewegungen oder Kämpfe aufzuspringen.

2) Wir brauchen Wissen und Erfahrungen in konkreten Arbeitsbereichen, um Situation zu erkennen, in denen die Linke einen Unterschied für die KollegInnen in einem Betrieb machen kann.

3) Inhaltliche Debatten sind wichtig. Zentral ist es aber auch, praktische Aktivitäten, rund um die konkreten Probleme und die laufenden Auseinandersetzungen in einer Branche, zu organisieren.

4) Um eine Basisinitiative nachhaltig aufzubauen dürfen eigene Ideen nicht dominieren, sondern wir müssen offene Räume für Betroffene schaffen, in denen auf Augenhöhe diskutiert und gearbeitet werden kann.

In keiner Branche gibt es dieselben Probleme und Strukturen – und die beschreibene Erfahrung kann nicht 1:1 auf andere Felder übertragen werden. Durch Initiativen wie Care Revolution Wien entstehen aber Räume, in denen Beschäftigte – die bisher nichts mit der Linken am Hut hatten – mit einer kämpferischen Perspektive auf gesellschaftliche Konflikte in Berührung kommen. Die Stimmung im Wiener Gesundheitsbereich spitzt sich gerade wieder zu. Kommende Kämpfe müssen nicht bei Null beginnen – das Netzwerk Care Revolution Wien kann in Arbeitskämpfen eine wichtige Rolle spielen und als Sprachrohr der Belegschaft unabhängig von ArbeitgeberInnen und Gewerkschaft agieren.

Florian Weissel gibt seit Jahren das Betriebsflugblatt Klartext im Krankenanstaltenverbund heraus, ist Mitbegründer von Care Revolution Wien und aktiv bei der Revolutionär Sozialistischen Organisation.

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