„Ausbildung bis 18“ oder Ausbildungspflicht? Wieso der Minister herumeiert

Seit Monaten wird – in unterschiedlicher Intensität – über die Einführung einer Ausbildungspflicht für alle unter 18 diskutiert. Was es mit dieser „Maßnahme“ auf sich hat und warum sie plötzlich „Ausbildung bis 18“ heißt, erläutert der Soziologe und Sozialpädagoge Alban Knecht.

Wenn es um die Ausbildungspflicht geht, scheint Minister Hundstorfer je nach Publikum eine ganz unterschiedliche Darstellungsweise zu wählen. Je mehr SozialarbeiterInnen im Publikum sind, desto lieblicher fallen die Aussagen aus. So à la: Eh klar, dass Strafen für Jugendliche, die Probleme beim Übergang von der Schule in den Beruf haben, nicht das richtige Mittel sein können und man auf Motivierung und individuelle Hilfen setzen muss. Und im Standard heißt es: „Zwang sollte jedenfalls keiner hinter den Maßnahmen stehen. Man rede über Angebote, Unterstützung und Hilfeleistung und ‚erst ganz am Schluss‘ über mögliche Sanktionen, so Hundstorfer.“ Mit der Pflicht scheint es also nicht weit her zu sein. Und so hat das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Kosument[Inn]enschutz seine „Ausbildungspflicht“ auch euphemistisch in „Ausbildung bis 18“ umbenannt. An anderer Stelle verweist Hundstorfer allerdings klar auf die rot-schwarze Regierungsvereinbarung. Dort ist festgehalten, dass die Einführung der Ausbildungspflicht einhergehen soll mit „einer Verwaltungsstrafe analog der Ver­letzung der Schulpflicht.“ Niemand mehr, so Hundstorfer, soll gleich nach Beendigung der Schulpflicht ohne Ausbildung zu arbeiten beginnen.

Freiwilligkeit vs. Zwang

Teil der Ausbildungspflicht wird das sogenannte Jugendcoaching werden. Dabei handelt es sich um ein Beratungsangebot, das Jugendliche in Anspruch nehmen können, die in der Berufs- oder Schulwahl unsicher oder beim Verlassen der neunten Schulstufe mit anderen Problemen konfrontiert sind. Auch ganz persönliche Schwierigkeiten sollen dort besprochen werden. Bisher ist es ein freiwilliges Angebot, das sich seiner Niederschwelligkeit rühmt. LehrerInnen bekommen Diagnosebögen an die Hand, mit deren Hilfe sie jene SchülerInnen bestimmen sollen, die wohl einen Beratungsbedarf haben; schulexterne Jugendcoaches erhalten bei Zustimmung der Eltern Informationen über die Kinder und kommen dann normalerweise für die Beratungen in die Schule. Die teils sehr persönlichen Daten, die sie bei den Beratungsgesprächen erheben, werden auf dem Bundesrechner gespeichert. Augenblicklich werden pro Jahr ca. 27.000 Jugendliche beraten, was etwa ein Viertel eines Jahrgangs ausmacht. Fraglich ist, wie das Jugendcoaching im Rahmen eines Ausbildungs- und Beratungszwangs gehandhabt werden wird. Müssen die Eltern dann nicht mehr gefragt werden?  Kann der Datenerhebung und -speicherung dann überhaupt widersprochen und ohne Datenerhebung beraten werden? Und vor allem: Kann eine Beratung zu Berufs- und Lebensfragen sinnvoll im Rahmen einer Zwangsberatung durchgeführt werden? Oder werden die Jugendlichen das Angebot dann einfach als Erweiterung  ungeliebter schulischer Pflichten sehen, sozusagen als Nachsitzen, weil die psychischen Hausarbeiten in den Gegenständen Entscheidungsfindung und Motivationsbildung nicht richtig erledigt wurden?

Emanzipative Freiräume oder neoliberale Spielchen?

Wieso der Minister so herumeiert? Von sozialdemokratischer Seite wird der zunehmende Zugriff auf das Individuum im Rahmen von Ausbildungspflicht und Zwangsberatung als sozialinvestive Politik verbrämt: Nachdem die Arbeitslosenquoten der Bevölkerungsgruppe ohne weiterführende Schulausbildung besonders hoch sind, erhoffen sich alle, das Problem der Arbeitslosigkeit über mehr Bildung in den Griff zu bekommen. Sozialinvestive Politik ist dabei Teil eines neuen Politikstils, der sich von klassischen umverteilenden „sozialkonsumtiven“ Sozialleistungen abkehrt. Stattdessen sollen Individuen dabei unterstützt werden, ausreichend „eigene“ Fähigkeiten zu entwickeln, um nicht bedürftig zu werden – beziehungsweise um sich selbst aus den Fängen der Bedürftigkeit zu lösen.

Das hört sich zunächst gut an – und wird es im Prinzip nicht auch von GerechtigkeitstheoretikerInnen wie dem Nobelpreisträger Amartya Sen gefordert? Jein! Denn wenn es darum geht, Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern, stellt sich immer die Frage, ob emanzipative Freiräume für die Gestaltung des eigenen Lebens das eigentliche Ziel sind – oder ob Maßnahmen alleine darauf abzielen, Menschen in Arbeitsplätze zu zwingen, die ihnen vielleicht gar nicht entsprechen. Bei sogenannten Aktivierungsmaßnahmen der Arbeitsmarktpolitik bereitet es häufig Schwierigkeiten, das emanzipative und befreiende Moment in ihnen zu finden. Und Zwangsmaßnahmen vom Bewerbungstraining bis zur „Arbeitsgelegenheiten“ à la deutscher „Ein-Euro-Job“ offiziell, werden schnell als neoliberale Spielchen identifiziert. Eigentlich schmückt sowas keinen Sozialdemokraten und keine Sozialdemokratin. Und genau deshalb eiert der Minister so herum.

Zum Weiterlesen:

Das Projekt SocIETY will die Lebensqualität benachteiligter junger Menschen durch Partizipation und soziale Innovation verbessern. Dabei will es nicht nur Ungleichheiten abbauen, sondern auch und vor allem Wissen und Werkzeuge schaffen, die das politische Ziel eines „guten Lebens für alle“ im Fokus haben. Hier gibt’s mehr Infos: http://www.society-youth.eu/about-us.

Alban Knecht, Soziologe und Sozialpädagoge, forscht zu Armut und Sozialstaat. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter ist er an der Johannes-Kepler-Universität Linz im Forschungsprojekt SOCIETY tätig. Er lehrt an der Fachhochschule FH Campus Wien und der Hochschule München für angewandte Wissenschaften.

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