„Die AfD hat mehr Probleme, als es scheint“

Was die AfD jederzeit schwächen kann, warum die SPD sich nicht erneuern wird und wie die Linke die sozialen Missstände erfolgreicher nützen könnte, erklärt Mark Bergfeld im Interview.

Deutschland hat gewählt – und alle reden über den dritten Platz der AfD. Doch nicht „Rechtsruck“ ist das Wort, mit dem Mark Bergfeld die Wahl zusammenfasst, sondern „Polarisierung“. Was sind die Gründe für den Aufstieg der AfD? Wie wird die CDU darauf reagieren? Und warum gelingt es der Linkspartei nicht, stärker von der Unzufriedenheit zu profitieren? Diese Fragen und etliche mehr beantwortet der Soziologe im Gespräch mit Valentin Schwarz.

Du hast das Wahlergebnis auf Facebook spontan so kommentiert: „Welcome to the Weimar Republic 2.0“. Wie meinst du das? Heißt das, am Ende übernehmen die Nazis die Macht?

(lacht) Nein, ich meine das so: In der Weimarer Republik gab es eine Vielzahl an Parteien, eine Fragmentierung der politischen Mitte. Auch heute haben CDU und SPD stark verloren und liegen bei nur noch 33 und 20 ,5 Prozent. Sie können nicht mehr als Volksparteien bezeichnet werden. Zugleich wurden Parteien links und rechts von ihnen gestärkt.

Die große Geschichte ist klarerweise der Erfolg der AfD mit über 12 Prozent. Aber auch Linke und Grüne haben leicht zugelegt und liegen bei je 9 Prozent. Meine Zusammenfassung der Wahl lautet daher eher „Polarisierung“ als „Rechtsruck“.

Die AfD hat in den letzten Jahren viele interne Konflikte ausgetragen und dabei sogar ihr Kernthema geändert: von der Eurokritik einiger rechtskonservativer Professoren hin zu einer Politik, die sich vor allem gegen MuslimInnen und Flüchtlinge richtet. Wieso haben der AfD diese Turbulenzen und Kehrtwenden nicht geschadet?

Die AfD hat viele interne Konflikte, das stimmt. Aber inhaltlich hat sie keine so große Kehrtwende hingelegt, wie es vielleicht von außen erscheint. Ihr inhaltlicher Kern ist der Rassismus und der war von Anfang an da.

Die Professoren, die die AfD gegründet haben, waren in erster Linie gegen die Kredite an Griechenland, und verwendeten dafür das rassistische Schlagwort von den „faulen Griechen“. Sie befanden sich außerdem von Beginn an in einem Zweckbündnis mit nationalkonservativen Kräften wie Alexander Gauland oder Beatrix von Storch. Die setzten stark auf antimuslimischen Rassismus und Islamophobie.

Mit antimuslimischem Rassismus sind derzeit rechte Parteien in vielen Ländern Europas erfolgreich. Aber kaum einer ist das so rasch gelungen wie der AfD in Deutschland, binnen weniger Jahre.

Die AfD gibt es noch nicht lange, aber den Rassismus, auf den sie sich stützt, schon. Spätestens seit den Anschlägen von 2001 hat vor allem der antimuslimische Rassismus merkbar zugenommen. Das war der Nährboden für die AfD.

Entscheidende Momente waren die Flüchtlingsbewegung von 2015 und die sexuellen Übergriffe während der Neujahrsnacht 2016 in Köln. Als Folge konnte Pegida, die ursprünglich aus Dresden stammt, auch in den westdeutschen Bundesländern an Einfluss gewinnen. Das änderte die innerparteiliche Balance, der rechte Flügel um Alexander Gauland gewann an Macht. In den letzten Monaten gab es eine weitere Verschiebung: Gauland schloss ein Bündnis mit Alice Weidel, die aus dem Wirtschaftsflügel kommt. Gemeinsam waren sie bei dieser Wahl die SpitzenkandidatInnen. Parteichefin Frauke Petry dagegen wurde kaltgestellt.

All das zeigt: In der AfD gibt es keine Stabilität, mehr einen Burgfrieden. Die Partei ist durchzogen von Zweckbündnissen. Das ist etwas, was wir Linken oft nicht verstehen: Rechte sind viel weniger idealistisch. Sie gehen viel weiter, um die Macht zu wahren.

Aber ich zweifle daran, dass die AfD stabil bleibt. Es kann jederzeit einen Anlass geben, an dem sich die Streitigkeiten neu entzünden. Nehmen wir Gaulands Aussage vom Wahlabend: „Wir werden Frau Merkel jagen.“ Wenn sich Frauke Petry davon distanziert, könnte der Konflikt schon wieder ausbrechen. Die AfD hat mehr Probleme, als es scheint.

Die Massenmedien sehen die Lage der AfD viel positiver.

Bitte versteht mich nicht falsch: Die AfD hat einen Wahlerfolg gefeiert und wir müssen den ernst nehmen. Aber niemand wird auf absehbare Zeit mit ihr koalieren. Sie wird im Bundestag ebenso marginalisiert bleiben wie schon bisher in den Landtagen.

Kurzfristig wird die AfD in erster Linie die CDU nach rechts drängen. Dort galt jahrzehntelang: „Rechts von uns ist nur die Wand“, Merkel führte aber einen Mitte-Wahlkampf. Nach den deutlichen Verlusten wird die CDU wohl wieder eine konservativere Linie einnehmen, mittelfristig eine Koalition mit der AfD erwägen. Wir wissen aus Frankreich, Österreich und anderen Ländern, dass so ein Rechtsruck der Mitte-Parteien im Endeffekt nur die Rechte stärkt.

Bei welchen Themen könnte die CDU als erstes nach rechts rücken?

Migration. Da hat sie schon in den letzten Monaten ihre Linie verändert. Die CDU spricht nicht mehr über Integration, sondern nur noch über Terror, Grenzen und Ausweisungen. Von „Wir schaffen das“ ist keine Spur mehr. Das gilt auch für andere Parteien: Boris Palmer, grüner Bürgermeister von Tübingen, hat vor kurzem das Buch „Wir können nicht allen helfen“ veröffentlicht. Sahra Wagenknecht von der Linkspartei fordert Obergrenzen für Flüchtlinge. Alle anderen Parteien kreisten monatelang um die AfD. Auch das ist ein Grund für ihr starkes Wahlergebnis.

Der zweite Verlierer ist die SPD. Martin Schulz hat angekündigt, die Partei in der Opposition „erneuern“ zu wollen. Ist das überhaupt möglich? Kann die SPD „erneuert“ werden? Vielleicht sogar orientiert am „Modell Corbyn“?

Die SPD hat enormes Glaubwürdigkeitsproblem. Sie setzte im Wahlkampf auf Schlagworte wie Gerechtigkeit oder Gleichberechtigung, aber das kauft ihr einfach niemand mehr ab. Auch die angekündigte Erneuerung wird es unter Schulz nicht geben. Er wird keinen Kurswechsel zulassen – etwa weg von der Agenda 2010 oder hin zu einer humanitären Flüchtlingspolitik. Dazu bräuchte es ein komplett anderes Personal.

Einen Jeremy Corbyn gibt es in der SPD nicht. Die Parteilinken sind 2005 zur WASG abgewandert, die später mit der PDS die Linkspartei gründete. Ich denke daher, dass die SPD eher den Weg der französischen PS als der britischen Labour Party gehen wird. Die strukturellen Ursachen für den Untergang der Sozialdemokratie bestehen weiter.

Kommen wir zur Linkspartei. Sie ist als einzige Partei klar antineoliberal und war im Bundestag stets isoliert. Warum konnte sie sich trotzdem nicht als Anti-System-Partei etablieren und so Proteststimmen anziehen? Der AfD ist das schließlich innerhalb kurzer Zeit gelungen.

Erstens hat Die Linke eine andere Geschichte als die meisten Linksparteien in Europa. Der PDS-Flügel war immer staatstragend. Viele ihrer Leute kommen aus der SED, der Einheitspartei der DDR. Ihr Politikverständnis war immer, zu regieren. Das Protestpotenzial der Linken ist daher nicht hoch.

Zweitens gibt es in Deutschland zwar gravierende soziale und ökonomische Probleme: Millionen Menschen sind in prekären Jobs tätig, die Mieten in vielen Städten werden unbezahlbar. Aber die Menschen leiden vereinzelt, ihre Probleme werden nicht kollektiv beantwortet. Das ist ein Versagen der Linken. Sie versteht sich nur als Arm dieser Menschen im Parlament, beteiligt sich aber nicht an den sozialen Kämpfen vor Ort.

Besonders im Osten, wo die Linke regiert, sind viele Leute zur AfD abgewandert. Der Linken wird dort zwar zugutegehalten, soziale Politik zu machen, aber das ist für viele nicht das wichtigste Thema.

Welche Lehre sollte die Linke daraus ziehen?

Dass es nicht genügt, für sozialen Wandel zu sein. Die Partei muss auch klar antirassistisch auftreten – heute mehr denn je. Sie muss beides zu einer antirassistischen Klassenpolitik verbinden. Nur wenn sie beginnt, so zu denken, wird sie ihre Basis in migrantische Communities ausweiten können.

Außerdem muss Die Linke ihre Verbindungen zu sozialen Bewegungen und Gewerkschaften ausbauen und tatsächlich in sozialen Kämpfen präsent werden. Teile der Partei bemühen sich bereits darum, die Partei ist im Umbruch. Das sieht man auch daran, dass zwei Drittel aller Neueintritte unter 35 Jahre alt sind und einen Uni-Abschluss haben.

Du hast die Zusammenarbeit mit migrantischen Communities angesprochen. Welche Anzeichen gibt es auf deren Seite für ein solches Bündnis, etwa in muslimischen Communities, die vom Rassismus besonders betroffen sind?

Muslimas und Muslime kamen in diesem Wahlkampf fast nur als Erdoğan-AnhängerInnen und potenzielle GefährderInnen vor. Das macht es ihnen besonders schwer, politisch aktiv zu werden. Selbst wenn sie sich für ganz andere Themen engagieren wollen, müssen sie damit rechnen, ständig auf ihre Haltung zu Erdoğan reduziert zu werden.

Es gibt tolle Initiativen wie #SchauHin gegen Alltagsrassismus und tolle junge Leute auf Youtube und in anderen sozialen Medien. Aber im Großen bleibt die Organisierung der migrantischen Communities schwierig. Die große Frage ist, ob es ihnen gelingt, sich in den kommenden Jahren als politisches Subjekt zu konstitutieren. Dann könnten sie mit anderen Bewegungen zusammenarbeiten, etwa gegen Sozialabbau oder Privatisierungen.

Aber dafür sehe ich auch auf der anderen Seite Probleme. Antimuslimischer Rassismus ist auch unter Linken verbreitet. Die rechten Diskurse, die die AfD groß gemacht haben, sind auch in linken Milieus stark.

Was können Linke sonst noch tun, um gegen die AfD vorzugehen?

Wir können aufzeigen, wie sehr die AfD, die sich als Anti-System-Partei gibt, mit den Eliten verwachsen ist: Alice Weidel beispielsweise arbeitete für Goldman Sachs, Beatrix von Storch ist sogar mit dem britischen Königshaus verwandt. Dazu passt der Kurs der Partei: Sie will Demokratie und Sozialstaat untergraben. Die AfD will beispielsweise Arbeitslosen das Wahlrecht entziehen und das Rentenalter auf 70 Jahre anheben. Das ist ihre Schwachstelle, und die sollten wir nützen.

 

Mark Bergfeld ist Soziologe an der Queen Mary University of London. Er arbeitet wissenschaftlich zur deutschen Politik und ist in der globalisierungskritischen Bewegung aktiv.

Interview: Valentin Schwarz und Benjamin Opratko

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