Wirtschaftskammer: Generalangriff auf Mitbestimmung und Demokratie

Vergangene Woche erlebte Österreich etwas noch nie Dagewesenes. Einen Generalangriff der Wirtschaftskammer auf das österreichische Kollektivvertragssystem und damit auf die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen. Die Antwort kann nur die Forderung nach mehr Demokratie in Betrieb und Wirtschaft sein.

Es ist ein vertrautes Ritual, das sich jedes Jahr im Herbst abspielt. Die Produktionsgewerkschaft (Pro-Ge) und die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) übergeben die Forderungen für die Kollektivvertragsrunde der Metallindustrie und des Bergbaus an den zuständigen Fachverband der Wirtschaftskammer, den Fachverband für Maschinen- und Metallwarenindustrie (FMMI). Im Anschluss finden die sogenannten Wirtschaftsgespräche statt, man einigt sich auf Verhandlungsrunden, die rund bis unrund ablaufen, bis man einen passenden Kompromiss beisammen hat.

Doch dieses Jahr sollte es anders sein. Am 24. September, nach der Übergabe der Forderungen der Gewerkschaft an den FMMI, eskalierte die ArbeitgeberInnen-Seite und brach die Verhandlungen ab. Die ArbeitgeberInnen forderten die Gewerkschaft auf, „dafür Sorge zu tragen, dass die Bundesregierung sich so verhält, wie sich das die Unternehmer wünschen. Bevor das nicht gewährleistet ist, gibt es schlicht und einfach keine Bereitschaft Kollektivvertragsverhandlungen zu führen.“ Konkret geht es um die Wertschöpfungsabgabe und die Anrechnung aller Lehr- und Arbeitsjahre für die 6. Urlaubswoche nach 25 Jahren Beschäftigung.

Kampfmaßnahme der ArbeitgeberInnen

Die Verhandlungsverweigerung ist eine Provokation der ArbeitgeberInnen. Es ist eine De-facto-Kampfmaßnahme der ArbeitgeberInnen-Seite. Durch die Weigerung, über Löhne und Gehälter zu verhandeln, soll die Gewerkschaft dazu gezwungen werden, Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Aber das ist noch nicht das eigentliche Problem. Denn Österreich hat die liberalsten Bestimmungen betreffend Kampfmaßnahmen. Im Koalitionsgesetz von 1870 heißt es lediglich: Jede Verabredung von ArbeitnehmerInnen/ArbeitgeberInnen, welche bezweckt, höhere/niedrigere Löhne oder überhaupt günstigere/ungünstigere Arbeitsbedingungen zu erzwingen, darf nicht rechtlich verfolgt werden.

Der Arbeitskampf ist „jede von einer Partei des Arbeitslebens im Wege kollektiver Maßnahmen vorgenommene bewusste Störung des Arbeitsfriedens“ (Tomandl, „Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes“). Weder dürfen Kampfmaßnahmen der ArbeitnehmerInnen, noch die von ArbeitgeberInnen untersagt werden, es müssen nicht einmal arbeitsrechtliche Ziele vorgegeben sein. Erlaubt sind Solidaritätsstreiks, Unterstützungsstreiks und selbst politische Streiks bzw. Aussperrungen, also das Aussperren der ArbeitnehmerInnen aus den Betrieben, um über den Existenzdruck der ArbeitnehmerInnen Druck auf die Gewerkschaften ausüben zu können. Und auch Kampfmaßnahmen gegen Dritte sind nicht verboten, auch nicht gegen eine gesetzgebende Institution. Die Argumentation: Aufgrund der Sozialpartnerschaft kann durch eine solche Kampfmaßnahme gegen die andere Partei des Arbeitslebens Druck auf die gesetzgebende Körperschaft ausgeübt werden, um eigene Forderungen durchzusetzen – und genau das versucht der FMMI.

Generalangriff auf das KV-System, auf Mitbestimmung und Demokratie

Das wäre also noch nicht das große Problem. Man könnte nun darüber philosophieren, wie ernst der FMMI die Verhandlungen überhaupt genommen hat, wenn der Fachverband schon in den Vorgesprächen bis zum Verhandlungsabbruch eskaliert und erpresserische Methoden anwendet. Wie ernst es der FMMI meint, wenn er seine Partnerinnen, die Gewerkschaften, dazu zwingen will, gegen ihre Interessen zu intervenieren. Aber solche Überlegungen sind vergebene Liebesmüh. Denn dem FMMI und der gesamten Wirtschaftskammerorganisation geht es um etwas Anderes: den Angriff auf das Kollektivvertragssystem. Und dieser Angriff hat sich bereits seit Monaten angekündigt.

Kollektivvertragssysteme sind sehr starke Instrumente der Gewerkschaften. Ein Abschluss eines KV gilt nicht nur für einzelne Betriebe, die starke, schwache oder sogar keine Interessensvertretung haben können, sondern ein KV gilt branchenweit. Die gesamte Macht und Stärke der Gewerkschaften verhandelt hier. Das war der ArbeitgeberInnen-Seite immer schon ein Dorn im Auge und so forderte im Juni der Präsident der österreichischen Industriellen-Vereinigung, Georg Kapsch, flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten von Löhnen und Gehältern auf betrieblicher Ebene und „Tariföffnungsklauseln“, also auf betrieblicher Ebene den Kollektivvertrag zu unterlaufen. Auch britische und finnische Gewerkschaftsbünde berichten über neue Pläne ihrer Regierungen, sowohl das Streikrecht als auch die Kollektivverträge auszuhöhlen. Arbeitsrechtliche Regelungen sollen verschlechtert und die Regelungsmacht von Kollektivverträgen eingeschränkt werden.

Aber der Angriff erfolgt nicht nur auf nationaler Ebene, er wird EU-weit geführt. In einem Kommissionsbericht der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission (DG ECFIN) wird ein Maßnahmenkatalog für ein „wettbewerbsfreundliches“ Tarifsystem veröffentlicht:

  • die allgemeine Dezentralisierung des Tarifsystems – also die Stärkung der betrieblichen Ebene
  • die Einführung bzw. Ausdehnung von Öffnungsklauseln für betriebliche Abweichungen von Flächentarifverträgen – also das, was IV-Kapsch will
  • die Begrenzung bzw. Abschaffung des „Günstigkeitsprinzips“
  • die Beschränkung/Reduzierung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen

Und: ganz offen wird die „Reduzierung der Tarifbindung“ sowie die „allgemeine Reduzierung der Lohnsetzungsmacht der Gewerkschaften“ als Ziel „beschäftigungsfreundlicher Reformen“ vorgegeben.

Was die Aushöhlung der Kollektivverträge bedeutet, zeigen Beispiele aus Rumänien, Griechenland, Portugal und Spanien. Die Folge war immer ein massiver Realeinkommensverlust, eine Umverteilung nach oben und eine Abwärtsspirale von ArbeitnehmerInnen-Rechten und Sozialleistungen nach ganz unten. Aber Kollektivverträge sind mehr als nur ein starkes Instrument, um höhere Löhne durchzusetzen. Kollektivverträge erlauben die demokratische Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen in allen Belangen des Arbeitslebens. 97 % der ArbeitnehmerInnen in Österreich unterliegen kollektivvertraglichen Regelungen und diese werden von der demokratischen Institution „Gewerkschaft“ ausverhandelt. Ein Angriff auf das Kollektivvertragssystem ist damit ein Angriff auf Mitbestimmung und Demokratie in einem wesentlichen Teil unseres Lebens.

Demokratie in Betrieb und Wirtschaft

Wie zerbrechlich unsere Demokratie ist, zeigten die vergangenen Monate, zeigte der Umgang der EU mit Griechenland. Gegen den demokratischen Willen der griechischen Bevölkerung wurden in erpresserischer Art Maßnahmen gegen Arbeitsrechte und gegen Gewerkschaften durchgesetzt. Der autoritäre Kapitalismus setzte mit brutaler Gewalt seine Interessen durch. Keine ansteigende Säuglingssterblichkeit, keine deutlich erhöhte Suizidrate, keine Zahlen über den katastrophalen Zustand des Gesundheitssystems konnte ihn davon abhalten. Und wohin die Reise gehen soll, das hat ein Trommler des „Klassenfeindes“ (Christian Ortner)  in zahlreichen Kolumnen niedergeschrieben. Eine Troika für Österreich wünscht er sich, die dann „erzwingen kann, was höchst vernünftig und wünschenswert wäre (das gilt auch für die von Griechenlands Gläubigern durchgesetzte Abschaffung des sonntäglichen Ladenschlusszwanges)“. Keine Rede von Demokratie, nein, eine Troika, die „erzwingen“ soll. Im Juli 2015 meinte Ortner Folgendes: „Natürlich bedeutete eine solche temporäre Transformation Griechenlands in eine Art Sonderverwaltungszone mit suspendierter Demokratie einen Verlust der Souveränität des Landes. Doch die hat die ‘Wiege der Demokratie’ als logisch zwingende Konsequenz des jahrelangen Überkonsums ohnehin genauso verspielt.“

Solche antidemokratischen Ergüsse, ob nun von den Schreiberlingen des Kapitals oder dessen VertreterInnen selbst, sind so lange möglich, wie die Demokratisierung der Gesellschaft noch nicht vollendet ist. Solange die ArbeitnehmerInnen der Autorität der Betriebe ausgesetzt sind, solange die ArbeitnehmerInnen nicht über die von ihnen produzierten Waren und Dienstleistungen mitbestimmen können, solange die Produktionsmittel nicht demokratisiert sind – solange wird es immer wieder Angriffe auf Mitbestimmung und Demokratie geben. Die Antwort auf diesen Generalangriff der ArbeitgeberInnen-Seite kann nur die Forderung nach Demokratisierung der Betriebe und der Wirtschaft, nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel sein.

Die Antwort der Gewerkschaften

Wie nie zuvor stehen die Zeichen auf einen heißen Herbst. Die ArbeitgeberInnen-Verbände eskalieren, um die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen entscheidend zu schwächen. Es ist ein massiver Angriff auf alle ArbeitnehmerInnen. Die Gewerkschaft wird sich gegen diesen Erpressungsversuch zur Wehr setzen. Die Pro-Ge und die GPA-djp werden daher am 29. September eine bundesweite BetriebsrätInnen-Konferenz in der Wiener Stadthalle einberufen. „Die Verantwortung für drohende gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen in der gesamten Metallindustrie haben die Arbeitgeberverhandler“, so die Verhandlungsleiter Rainer Wimmer (PRO-GE) und Rudolf Wagner (GPA-djp).

Zum Weiterlesen:

Metallindustrie: Arbeitgeber verweigern Lohnerhöhung, http://www.proge.at/servlet/ContentServer?pagename=P01/Page/Index&n=P01_0.a&cid=1443060904328

Forderungen der Gewerkschaften, http://www.gpa-djp.at/cms/A03/A03_0.a/1442475037546/home/metaller-kv-affront-der-arbeitgeber-bundesweite-betriebsraetinnen-konferenz-am-29-September

Stefan Steindl ist stellvertretender Landessprecher der AUGE/UG Wien, Betriebsrat und im GPA-djp-Bundesausschuss WB16.

Autor

 
Nach oben scrollen